Stolberg - Fachwerktraum im Harz

Coburg bei Nacht
Marktplatz in Coburg

Autor: Henri du Vinage

Deutschland

Februar 2022

 

Noch sind wir in Coburg, doch führt uns die Reise bald weiter in das 250 Kilometer entfernte Stolberg im Harz. Coburg glänzt mit einer illustren Historie. 1182 erfährt die Stadt die erste Erwähnung. Jahrhunderte später hält sich Martin Luther mehrmals im Ort auf. Goethe, von dem wir wissen, dass er überall dort hinreiste, wo es schöne Frauen gab, weilte hier und dem Dichter Jean Paul ging es wohl ähnlich. Bis heute fühlen sich die Adelshäuser der Stadt verpflichtet (oder umgekehrt), worauf zahlreiche Denkmäler hinweisen. Adelsblut führt von hier nach England. Prinz Albert (1819-1861) heiratete die englische Königin Victoria, welche eine Bronzestatue ihres Gatten nach seinem frühen Tod in seiner Heimatstadt aufstellen ließ. Während des Ersten Weltkriegs wurde das Königshaus Sachsen-Coburg in Windsor umbenannt. Schluss jetzt mit dem Coburger Adelsklatsch. Könnt ihr in den einschlägigen Zeitschriften nachlesen. Auf eigenartige Weise wird uns aber der deutsche Adel im Laufe der Reise erhalten bleiben. Mehr verrate ich erst einmal nicht. 

Pension in Stolberg
Gasthaus Kupfer

Unser Auto rattert auf der gepflasterten Straße mit 30 Stundenkilometern in den Ort Stolberg hinein. Mit Perle des Südharzes wirbt die Touristinfo und beim ersten schnellen Blick staunen wir über die Fachwerkhäuser, parken in einem der Höfe und schleppen uns mit Koffern und Taschen bepackt den Fußgängerweg bergauf zum Hotel „Gasthaus Kupfer“. Die Rollen der Trolleys bleiben immer wieder zwischen den Steinen stecken und nach 10 Minuten stehen wir nass geschwitzt vor dem über 450 Jahre alten denkmalgeschützten Juwel. Farbige Fachwerkornamente verzieren das Gebäude, die Geschichte spiegelt sich im Inneren durch verbaute Holzbalken, schmiedeeiserne Lampen wieder und der Empfang ist herzlich. Über knarrende und knackende Holztreppen gelangen wir in unser Zimmer.

Stolberg Schloss
Blick vom Lutherweg auf das Schloss

Der Luftkurort in 300 m Höhe im Südharz/Sachsen-Anhalt beherbergt heute 1400 Einwohner, die ihre 450 Häuser aus 6 Jahrhunderten lieben, restaurieren und pflegen. 18 Gebäude sind von vor der Zeit um 1530. Einige der Bauwerke stehen direkt in der Ortsmitte. Mit der kostenlosen Mundoido App bewaffnet beginnen wir unseren Entdeckungszug durch die Gemeinde. Dieses Ensemble von Fachwerkhäusern beamt uns in das Mittelalter. Statt des Ratterns der Kutschen, der Handwagen und des  Pferdegetrampels auf dem Kopfsteinpflaster, röhrt eine Motorradtruppe auf der Straße und erinnert uns an das Heute. Einbiegend in eine Seitenstraße herrscht wieder die Ruhe der vergangenen Zeit und Wegtafeln weisen auf die Wanderwege der Region hin. Viele ausgeschilderte Wege lotsen aus der Ortschaft heraus. Wir entscheiden uns für einen Teil des Lutherwegs und einer Verschnaufpause an der Lutherbuche. Der Legende nach wanderte Luther mit einem Freund in der Umgebung herum und pausierte an dieser Stelle. Der Blick zum Schloss und in die Stadt erfüllte den Reformator mit Freude und Gelassenheit. Die Struktur des Ortes erinnerte ihn an einen Vogel. Wir haben das überprüft. Es stimmt. Eine Tafel weist auf Luther hin und die waschechten Wanderprofis holen sich Stempel Nr. 216 für die Harzer Wandernadel und vervollständigen damit ihren Wanderpass. Seit 2006 springen die Wandersleute durch die Harzer Wälder, um sich auf ihren Touren schicke Wandernadeln zu erlaufen. Von 2006 bis 2020 verkaufte der Trägerverein 75.000 Pässe. Selbstverständlich stempeln wir auch, auf ein zerknittertes Blatt Papier. Ein weiterer Wanderweg führt zum Josephskreuz. Das Kreuz schmückt den Großen Auerberg. Auf dem 8,7 Kilometer langen Rundweg bewältigen die Wanderfreunde 290 Höhenmeter und steigen dann 38 Meter hoch auf das 1896 errichtete eiserne Doppelkreuz. Die 100.000 Nieten sorgen auch bei Sturm für Sicherheit. Am Fuße des Kreuzes lädt ein Café/Restaurant zum Ausruhen ein. Als wir am frühen Abend dort ankamen, verriegelten die Mitarbeiter die Türen. Schade. 

Aufbau des Juliana-Denkmals
Juliana von Stolberg steht im Regen

Einige Steinwürfe von unserem Hotel entfernt laufen wir berghoch zum Schloss Stolberg. Seit 1210 residierten die Grafen zu Stolberg hier. Bis 1945 war das Anwesen im Besitz der Familie und wurde nach Kriegsende im Zuge der Bodenreform enteignet. Von 2002 an fördert die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Restaurierung der Immobilie. Der Prachtbau liegt auf der Oranier-Route, die 2500 Kilometer durch Orte führt, die dem Adelsgeschlecht besonders verbunden sind. Im Inneren des Schlosses wandeln wir durch das Empfangszimmer, welches nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel erbaut wurde. Einen Teil der Räumlichkeiten bleibt uns aufgrund der Restaurierungsarbeiten verschlossen. Im Garten erleben wir die Aufstellung eines Denkmals und ein Regenguss treibt uns in den Gartenpavillon. Auf dem Rückweg streifen wir durch die Gassen Stolbergs. Restaurierte Häuser stehen neben zugesperrten Gebäuden. Die Fensterläden sind geschlossen, das Holz ist brüchig, Spinnenweben, Straßenstaub und Vogeldreck dienen nicht der Zierde und wir wundern uns, dass diese wenigen Häuser den Stadtkern verschandeln. Wir entdecken schnucklige Cafés und kehren zur Stärkung von Geist und Seele ein. Kuchen, Café und Eis schmecken wie bei Muttern. Neugierig fragen wir: „Warum sind denn viele Häuser verlassen?“ Die Chefin des Cafés lächelt und antwortet: „Einige Häuser sind an Holländer verkauft und die kommen nicht so oft.“ „Wie Holländer? Was wollen die denn hier?“, fragen wir verdutzt. Sie klärt uns auf. „Juliana von Stolberg gilt als die Stammmutter zahlreicher regierender europäischer Häuser. So auch des niederländischen Königshauses.“ Da staunen wir und denken an die Windsors aus Coburg.

 

Freiheitskämpfer Münzer
Revoluzzer Thomas Münzer

Mitten auf dem Marktplatz steht das Denkmal von Thomas Müntzer. Schule, Religionsunterricht, Reformation schießt es mir durch den Kopf, aber ich schaffe es nicht ihn richtig einzuordnen. 1989, kurz vor der Wende, weihte die DDR-Administration zu Ehren des 500. Geburtstags die Gedenkstätte ein. Der Priester Münzer (1489-1525) bewunderte zunächst Martin Luther und eiferte ihm nach. Erst später nahm er die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft wahr, die Ausbeutung der Bauern durch den Adel und die großen Hungersnöte der Armen. Er organisierte Armenspeisungen, predigte agitatorisch, unterstützte die Bauernaufstände und befürwortete eine bewaffnete Befreiung der Bauern. Ich fühle eine gewisse Sympathie mit dem Mann. Den herrschenden Grund- und Landesherren gefiel sein Verhalten überhaupt nicht, sodass er nach der Schlacht bei Frankenhausen am 27.05.1525 in Mühlhausen enthauptet wurde. Selbst der so hochgelobte Martin Luther wandte sich von den Armen und Schwachen ab: „wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern [...] man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“

Wir wenden uns vom Denkmal ab und schlendern die Straße Am Markt entlang, durch die Passage des Steigerturms in die Niedergasse, vorbei an einigen Cafés und treffen nach 100 Metern auf das Museum Alte Münze. Vanille, Zimt und vom Ofen heranziehende Gebäckdüfte verraten, dass unser Ziel nicht mehr weit entfernt ist. Wir stehen vor der Hausnummer 51: FRIWI Spezialgebäcke. Das 1891 gegründete Unternehmen überlebte alle Turbulenzen: zwei Weltkriege, die Zwangsenteignung zur DDR-Zeit und die Reprivatisierung Anfang der 1990er Jahre. Der Outletladen offeriert Produkte aus eigener Produktion. Wir kaufen Spekulatius, Ingwer-Mandel-Printen, Früchteprinten und Kokosmakronen mit Schokolade. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Ich beiße rein. Bitterschokolade knackt soft an den Zähnen und verschmilzt beim zweiten Biss mit dem lockeren Teig. Eine Spur von Zimt, Anis, Nelken und Koriander bestäubt die Geschmacksknospen, um dann im Abgang mit leichter Ingwerschärfe und einem Mandelknack unendliche Glücksgefühle freizusetzen. Das übertrifft alles Bisherige. 

Gegenüber, hinter dem großen Tor mit den Radabweisern an beiden Seiten, öffnet sich der Hof mit einer alten Kutsche, Pension und dem Hofladen. Im Innenhof zieht der Wohlgeruch von brennendem Holz durch unsere Nasen. Einige Gäste schlürfen genussvoll die frisch im Holzofen gekochte Gulaschsuppe und trinken dazu ein Bier. Der von Nikolaus Klein geführte und liebevoll dekorierte Laden bürgt wahre Schätze der Kulinarik. Kräutermischungen, die der engagierte Koch kreiert, leckere Wurstwaren, Kräuteröle, Edelbrände und Süßigkeiten. Der mit Holz befeuerte Ofen sorgt für Wärme und Lagerfeuerromantik.

Coburg

Coburg by night
Marktplatz von Coburg

Tipp 1:

Rundgang durch die Altstadt, Wanderung zum Schloss durch den Park, Geschichte des Schutzpatrons „Coburger Mohr“ oder heiliger Mauritius.

Black Central Europe - "Der Coburger Mohr"

Stadt Coburg - "Der Coburger Mohr"

 

 

Stolberg

Rappbodetalsperre-Doppelseirutsche

Tipp 1

Ausflug zur 458,5 Meter langen Hängebrücke „Titan RT“ und der Adrenalinstoß auf Europas größter Doppelseilrutsche an der Rappbodetalsperre.

Hängebrücke & Gigaswing

Besuch planen 

 

Tipp 2

Gasthaus Kupfer – Übernachten und Essen  

Freundliche Bedienung und guter Service – besser als im Mutterhaus Hotel Zum Kanzler.

 

Tipp 3 

Café Alt – klein aber fein

Ruhige, gemütliche Terrasse, Inneraum rustikal modern, selbstgebackene Kuchenkreationen, kleine Auswahl an Snacks. Absolute Empfehlung. Auf die Öffnungszeiten achten.

Josephskreuz
Josephskreuz
Rappbodetalsperre
Rappbodetalsperre
Action an der Staumauer
Action an der Staumauer

Kommentare: 2
  • #2

    Werner Gollbach (Samstag, 19 März 2022 21:14)

    Lieber Henri, mit großem Interesse habe ich heute deinen Reisebericht auf den Spuren des europäischen Hochadels gelesen. Ich bin immer wieder erstaunt, was ihr auf euren Reisen so alles entdeckt. Danke auch für die Reisetipps für die kulturellen, historischen und kulinarischen Besonderheiten der Reiseorte.
    Liebe Grüße
    Werner

  • #1

    Peter Schniz (Dienstag, 01 März 2022 10:26)

    Lieber Henri,
    vielen Dank für die vielfältigen kulturellen und historischen Infos. Das motiviert sehr diese Stadt mal wieder zu besuchen.
    Ich war dort vor ca. 20 Jahren anlässlich einer Zwischenübernachtung. Da war nur ein kurzer Stadtrundgang möglich.
    Herzliche Grüße Peter