Kurzgeschichte - Der Geizkragen

Foto: Geralt
Foto: Geralt

Februar 2020

Wir ergatterten einen Platz an der Hotelbar. Neben uns saß ein Ehepaar, welches schon bei der Fahrt im zypriotischen Allinklusive-Bus auffiel. Sie buchten als Einzige der 36 teilnehmerstarken Gruppe das abendliche Dinner im Hotel nicht. Ich gebe zu, dass ich im ersten Moment den Mut bewunderte, sich dem Gruppenzwang zu entziehen. Wir kamen uns feige vor, hatten Angst in einem Hotel im Nowhereland keine Alternative außerhalb des Gefängniszauns zu finden. „Die Reiseveranstalter solcher Gruppenreisen halten die Herde immer zusammen und die unbändigen Ausreißer werden schnell eingefangen und zurück in den Stall gebracht“, erklärte uns ein Mitreisender, der offenbar Gefallen am Stallgeruch gefunden hatte. „Das ist meine dritte Reise mit denen“, gab er stolz und unverblümt zu.

Da saßen wir nun neben den Allinklusive-Verweigerern an der Bar und ein Gespräch war unvermeidlich. „Wo kommen Sie denn her? Sie waren doch auch im Bus?“, leitete er im nuschligsten Schwäbisch das Gespräch ein, prostete uns zu, schüttete das milchige Gesöff die Kehle herunter und lachte sich anschließend tot. „Ich brauche das Stöffchen, gucken sie“, und hielt mir seine übertrieben zitternden Hände und Arme unter die Nase. Dabei krümmte er sich vor Lachen. Die kurzatmigen Lacher schrumpften den Kugelbauch und bliesen ihn kurz darauf zu einem Luftballon, einer Art Heißluftballon, auf. Seine Frau, die bis jetzt kein Wort sagte, hielt ihn fest, sonst wäre der Ballon mit ihm davongeflogen. Er erzählte von seinem Schwabenländle und, dass er ein waschechter Schwabe sei und natürlich auf das Geld achte. Geizig sei er aber nicht. Schließlich verreise er mit seiner Frau viel und zählte zahlreiche Reisen auf. Südafrika, Australien, Marokko und in Dubai war er schon. „In Dubai habe ich für meine Frau ein elegantes Goldarmband gekauft. Für 3.000 €. Herunter gehandelt von 9.000 € “, und seine Brust schwoll an. „Habe ich mit afrikanischem Geld bezahlt“, formulierte er mit spitzem Mund und lachte sich wieder tot. Ich verstand nichts: „Wie, was für Geld?“ „Na, eben afrikanisches Geld“, und dabei schaute er mich an, als wäre ich ein Trottel. „Schwarzgeld, verstehst?“ Jetzt verstand ich und fragte mich, ob das rassistisch sei, fand aber keine Antwort. Wir bestellten einen Raki, der sich mit Wasser verdünnt in einen milchigen, nach Anis schmeckenden Schnaps verwandelt. Die türkische Version von Ouzo. Das sage ich nur zum besseren Verständnis meiner deutschen Landsleute. Weder Türken noch Griechen hätten für diesen Vergleich Verständnis. 

Die Frau des Ballons hat immer noch nichts gesagt, lächelt aber brav. Ob es wieder ein goldenes Armband gibt, oder vielleicht eine schicke Lederjacke aus der Manufaktur, die wir in den nächsten Tagen besuchen werden. Der Schwabe hat das Gespräch wieder aufgenommen und erzählt von dem Imbiss um die Ecke. „Da gab es einen Döner. Der Wein hat auch geschmeckt und alles für uns beide kostete 8 €.“ Er lacht sich wieder tot und sie nickt stolz. Er kippt wieder einen Raki, reibt die zitternde Hand unter meine Nase und lacht sich schon wieder tot.

Auf dem Boden steht sein Rucksack. Er zeigt ihn mir: „Den habe ich jetzt schon über 10 Jahre. Den gab es mal als Prämie bei Aral.“ Er öffnet ihn: „Guck‘, das ist unsere Ration für heute Abend. 4 Äpfel, ein halber Döner, gekochte Eier vom Frühstück, 1 Liter Wasser und jede Menge Gebäck. Lag alles auf dem Büfett herum. Woisch, (wir Duzen uns inzwischen), so machen wir das. Von nichts kommt nichts.“ Er krümmt sich wieder vor Lachen. Der Ballon geht raus und geht rein. Wir verabschieden uns und wünschen ein gutes Nächtle. Er freut sich, dass wir inzwischen des Schwäbischen mächtig sind, und wiehert glucksend. Vielleicht war der letzte Raki schlecht.

Frühstück. Der Ballon hat jetzt zwei Ballons. Einen vorne und einen auf dem Rücken mit der Werbung eines Mineralölkonzerns. Er setzt sich neben die Schweigsame. Rührei, Spiegelei, Wurst, Schinken, Bacon, Käse, Brot, Brötchen, Butter, Hackbraten, Bohnen, Tomaten, Zwiebelringe, Oliven verdecken das Porzellanweiß der Teller. „Das reicht für heute“, sagt der Schwabe, lacht sich tot und fällt mit einem Lächeln vom Stuhl. 

Fünfzehn Minuten später stellt der Hotelarzt den Tod fest. „Herzinfarkt“, bemerkt der Doktor lakonisch und verweist auf die Pillenschachtel, die seine Frau in der Hand hält. „Er nahm sie nur jeden zweiten Tag, anstatt täglich“, sagt die Frau, verzieht keine Miene und fügt hinzu: „Die sind so teuer, sagte er immer.“ Sie lächelt, entsorgt die Pillen und schlendert mit dem galanten alleinstehenden Herrn vom Nachbartisch Hand in Hand zum Büfett.

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