Kurzgeschichte - Kombucha

©André Götz
©André Götz

Zum Frühstück trinken wir jetzt immer Kombucha. Ein volles Glas mit sprudelnder, dunkler, mattdurchsichtiger Flüssigkeit. Salbei, grünen Tee und Kräuter schmecke ich heraus. Auf der Zunge spüre ich Kohlensäure, Limonade oder wenn der Kombucha zu hungrig war, riecht und schmeckt der Drink nach fruchtigem Apfelessig.

Da zieht sich der Gaumen zusammen, die Muskulatur des Unterkiefers verhärtet sich, die Haut sendet Warnsignale aus, in dem sich die Körperhaare aufrichten, als wollten sie das Hemd zerstechen. Ein Ruck zieht durch den Körper, doch habe ich mich daran gewöhnt und lasse mir nichts anmerken. „Schmeckt es“, fragt meine Frau und entspannt antworte ich: „Ja, superlecker“, und kippe den Rest in die Kehle. Sie hat sich ausgiebig mit dem Gesundheitswert des Kombuchapilzes auseinandergesetzt. Begeistert zeigt sie immer wieder den wachsenden Pilz: „Ist der nicht süß?“, und sie liest mir die Internetinformationen von der Gesellschaft für Alternativgesundheit vor: „Acecobacter und Gluconobacter sind drin...“. Ich unterbreche sie: „Ich hab‘ mal Helicobacter im Magen gehabt. Die Biester haben gezwickt und gebissen. Es tat weh, bis der Arzt sie mit Tabletten vernichtet hat.“ „Nein, nein, keine Angst. Das sind gesunde Bakterien und Hefen. Die produzieren wertvolle organische Säuren, Spurenelemente, Mineralstoffe und viele Vitamine“. Sie liest jedes einzelne Mineral, Vitamin und sonstigen gesunden Stoff vor. Nach einer halben Stunde schaut sie mich ernst und bedeutend an: „Siehst du“. Ich bin sprachlos und will nur noch Kombucha. Sie bestellt einen jungen, gut gewachsenen neuen Pilz im Internet. Diese Art soll noch mehr Vitamine erzeugen, als der alte Organismus.

Sehnsüchtig erwarten wir das Paket mit unserem neuen Mitbewohner. Die DHL-Dame übergibt das Paket. Wir öffnen es. Da ist er. Mit Frischegarantie und Pflegeanleitung. Das glibberige, beige und runde Ungeheuer wehrt sich. Wahrscheinlich hat es Angst und rutscht meiner Frau erst einmal durch die Hand, klatscht auf den Boden und bewegt sich nicht mehr. Ich glaube sogar, einen dünnen Schrei und ein schwaches herzzerreißendes Stöhnen gehört zu haben. Ist es Tod? Beherzt greift meine Frau zu. Das widerspenstige Ding will wieder abhauen, rutscht zwischen die Finger und will sich dort einen Weg suchen, aber meine geliebte Frau lässt nicht locker. Unter dem Leitungswasser, wir haben ihm inzwischen ein Geschlecht gegeben und nennen ihn Hugo, taufen wir ihn und spülen gleichzeitig die Brotkrumen des Fußbodens von seiner Babyhaut. 

Die Tinktur aus grünem Tee, Kräutern und Zucker ist abgekühlt und der Kleine darf jetzt nach Belieben futtern. Wir lassen ihn im Glas und in Ruhe. Eine Gaze umschließt die Öffnung des zwei Liter Behälters, um den schwirrenden Obstfliegen, das Eindringen in den bei 22 Grad temperierten Sud zu verhindern.

Zehn Tage sind vergangen. Meine Frau holt Hugo aus dem Gefäß. Er ist einige Zentimeter gewachsen. Sie wäscht seinen dunklen Teint, bis seine Babyhaut rosig glänzt. Das Gesöff sieben wir in unsere Gläser und lassen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente unsere Körper erobern. Wir trinken ein Glas.

Zwanzig Tage sind vergangen. Die Prozedur wiederholt sich. Hugos Größe hat sich verdreifacht und eine neue Behausung muss her. Wir kaufen einen fünf Liter Behälter mit einer großen Öffnung, damit der Junge genügend Luft zum Atmen bekommt. Wir trinken jetzt jeden Tag ein Glas.

Dreißig Tage sind vergangen. Hugo hat es nicht mehr im Gefäß gehalten und er ist ausgebüchst, hat sich auf unserem Küchentisch ausgebreitet und über unsere Süßigkeiten hergemacht. Selbst den Plastikdeckel auf dem Honigglas drückte er zur Seite und wabbelt klebrig zwischen Herd und Spüle entlang. Wir drücken unser Baby zusammen, er riecht säuerlich, wie nach aufgestoßener Muttermilch eines Kleinkindes. Wir spülen ihn, er rutscht zur Seite und seine fünf Kilo sind nur noch von zwei Personen zu bewältigen. Wir trinken jetzt dreimal täglich das kräftigende Kombuchateegetränk. 

Da unser vierwöchiger Urlaub ansteht und wir um unseren Jungen besorgt sind, entschließen wir uns seinen Wohnraum zu erweitern, und kaufen eine fünfzig Liter Tonne, die wir Hugos Villa nennen. Inzwischen reden wir mit ihm und sind uns sicher, dass er uns in Baby-Kombucha-Sprache antwortet. Morgens fragen wir ihn immer: „Hugo, wie geht es? Hast du gut geschlafen?“ Dann antwortet er mit einem schleimigen Gurgeln und einer Gasblase, die unter seiner schweren Körpermasse den Weg nach oben sucht. Wir deuten das als Signal für alles gut. Wenn er schlecht geschlafen hat, meistens war es dann in der Küche zu kalt, bleibt alles ruhig. Keine Blase, keine Bewegung, kein Signal. Wir genießen das Getränk jetzt jede Stunde.

Vier Wochen später. Der Urlaub ist vorbei und wir stehen mit Gepäck vor unserer Haustür. Da kommt der Nachbar angelaufen: „Gut, dass ihr kommt. Ich wollte schon die Feuerwehr rufen. Es blubbert und pupst in eurem Haus.“ Vorsichtig schließen wir die Tür auf, öffnen sie einen Spalt, schielen hinein und riechen Essig. Jetzt öffnen wir die Tür komplett, Glibber ist auf dem Boden, durch den Quallenwald kämpfen wir uns durch bis Küche und angrenzendes Wohnzimmer erreicht sind. Hugo hat die Küche und das Wohnzimmer annektiert und ist gerade dabei das Schlafzimmer zu erobern. „Nein Hugo, nicht das Schlafzimmer“, ruft meine Frau und wischt sich die Tränen mit den Hemdsärmeln von der Nase. Ich rase in die Garage, hole das Beil, welches ich seit mindesten 5 Jahren nicht mehr in der Hand hatte, schwinge es drohend in der Luft, haste zurück ins Wohnzimmer und dann saust es herab auf die hilflosen Körperteile Hugos. Die gelatineartige Gestalt fließt dahin. Von der Gewalt des niederstürzenden Beils zersplittert das Wengeparkett, die Holzsplitter fliegen mir um die Ohren. Wie von Sinnen schlage ich auf den wehrlosen Hugo ein. Hugos feuchte Weichteile kehren wir zusammen und werfen sie in den Mülleimer. Ein qualliges Teil zuckt noch. Ich erhebe das Beil und will nochmals mit all meiner Kraft zuschlagen. „Halt nicht, Schatz. Das lebt noch. Wir stecken es in die Tonne. Ich möchte wieder etwas davon trinken.“ Wir stopfen das Übriggeblieben in den Sud. Er gluckst und pupst. Es ist die helle Freude. Meine Frau weint lächelnd, ich putze mir die Nase und todmüde fallen wir ins Bett.

Fünf Stunden später. Der Vollmond scheint durch das Schlafzimmerfenster und schlaftrunken nehme ich ein auf mich zu kriechendendes Blubbern wahr. Unter der Bettdecke wird es feucht, gluckst in den höchsten Tönen und Hugo lächelt, glaube ich. Ich drücke ihn fest an mich und wir liebkosen uns. Er lebt und liebt mich.

Sechs Monate später. Wir teilen uns nun mit Hugo das Bett. Glücklicherweise hat er das Wachsen eingestellt und unser Geschäft mit Kombuchagetränken floriert. Wir Drei sind sehr glücklich.

Sie wollen mehr über unseren kleinen Liebling wissen. 

Sachdienliche Hinweise unter:

wellness-drinks.de

©André Götz
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