Wer kennt schon Naumburg?

Wer kennt schon Naumburg?
Dom

Autor: Henri du Vinage

Deutschland

Dezember 2021

 

Weinliebhabern und Freunden des Rotkäppchensekts könnte Naumburg an der Saale durchaus bekannt sein. Das Weinanbaugebiet Saale-Unstrut ist eine der nördlichsten Winzerregionen Deutschlands und Rotkäppchen war schon zu DDR-Zeiten die führende Sektkellerei. Berlinreisende auf der A9 werden zwischen Leipzig und Halle die Ausfahrt 21a nach Naumburg leicht finden.

Die 25.000 Einwohner zählende Kreisstadt des Burgenlandkreises im südlichen Sachsen-Anhalt gehört seit 2018 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die mittelalterliche Altstadt, der weltweit einmalige Dom mit zwei Chören und der weltlichen, fast lustigen Mimik der Stifter, motiviert Reisende einige Tage den Flair Naumburgs zu genießen. 

Naumburger Meister
Stifterfigur schöne Uta

Kenner der Region fragen uns: „Ward ihr denn auch bei Uta?“ „Ja, natürlich. Wir haben einige Minuten mit der schönen Uta verbracht.“ Die Ehefrau des Markgrafen Ekkehard II. von Meißen, eine der Stifterfiguren, schaut lieblich in das Rund des Westchors. Die Pilger strömen in den Dom, um das Idol, die edle Uta von Ballenstedt oder Uta von Naumburg, zu bewundern und zu verehren. Selbst die Anbetung ihrer Person zur Zeit des NS-Regimes und die Stilisierung Utas als typisch deutsches Weib tat der Bildhauerkunst keinen Abbruch. Der unbekannte Bildhauer, genannt Naumburger Meister, erschuf Uta und die anderen Fantasiedarstellungen 200 bis 250 Jahre nach ihrem Tod (Uta lebte von 1000 bis 1046). Der ehemaligen Garnisonsstadt der Sowjetarmee mit 15.000-20.000 Soldaten gelingt es die weltweiten Einmaligkeiten der zwei Chöre im Dom, die schöne Uta, die Bürgerstadt (ab 11. Jh. Sitz der Händler und Kaufleute) und die Handwerkerstadt (um 1050, Dombau) zu schützen und das Kulturerbe zu vermarkten. In den nächsten Jahren wird weiterhin in die Restaurierungen investiert.

Naumburger Handwerk
Ursula Römer - Bürstenmacherin

Der Weg führt uns vom Dom durch die Handwerkerstadt und dann in Richtung Bürgerstadt. Die Cafés und Restaurants verströmen Gemütlichkeit. Einheimische und Touristen vermischen sich an diesem Ort, schlecken Eis oder essen Kuchen, trinken Wein von den Winzern um die Ecke, kaufen Nippes, Kunsthandwerk oder Antiquitäten. Wir landen beim Bürstenmacher. Die über 80-jährige Chefin erzählt: „Mein Großvater gründete diesen Laden 1885. Später übernahmen meine Mutter und mein Vater“, und sie deutet auf einen älteren Herren, der einen Korb flechtet. „Auf diesem Platz hat mein Vater bis zum 99. Lebensjahr gearbeitet. Jeden Tag. Ohne Brille. Jetzt sitzt dort mein Mann.“ Ursula Römer liebt ihren antiquierten Laden. Unter Tipp1 führt ein Link vom MDR zu weiteren Informationen. Wir bewundern die Ladeneinrichtung, welche die Wirren der Jahrzehnte überstand, und kaufen Holzlöffel und zwei Flaschenbürsten.

Wir ziehen weiter und verweilen unter den Linden, erfrischen uns mit einem Aperolspritz von den Gastroständen der Fußgängerpassage des Lindenrings, um dann gestärkt in die Bürgerstadt zu spazieren. Der Dombau und die Präsenz des Klerus motivierten Kaufleute, Gastwirte, Apotheker und andere Gewerbetreibende sich hier niederzulassen. Die ab 1300 gebauten Fachwerkhäuser fielen immer wieder den Flammen zu Opfer, so dass die wohlhabende Klasse sich später entschloss, Steinhäuser zu bauen. Da es zu jener Zeit keine Hausnummern gab, brachten die Eigentümer Erkennungszeichen an den Erkern an. So ist die Apotheke mit der Heilpflanze Lorbeer gekennzeichnet und der Zufall wollte es, dass der Pillendreher Johann Lorbeer hieß und das Geschäft bis heute die Lorbeerbaum-Apotheke ist.

In einer Nische stoßen wir auf ein weiteres Zeichen. Die Muschel der Pilger weist auf den Jakobsweg hin. Im frühen Mittelalter wanderten die Menschen, um Buße zu tun diesen entbehrungsreichen Weg und baten Gott um ein ewiges Leben im Paradies. Der Camino führt mitten durch die Kreisstadt. 

Der Handel verhalf dem Ort zu Wohlstand, denn zwei Handelsstraßen kreuzten sich hier. Die Via Reggia verlief von Spanien, Santiago de Compostela, über Frankfurt nach Moskau und die Via Imperii kam von Rom über Nürnberg und endete in Stettin. In Naumburg blühte das Geschäft, Handelsmessen und Märkte wurden organisiert. Eine selbstbewusste Bürgerschaft entstand, die sich gegen die Kirchenfürsten auflehnte. Die Ursachen der Streitereien bestanden meistens in den Einschränkungen des Handels. Der Bischof verbot immer wieder Verkaufsmessen. Dieser Streit gipfelte schließlich in den Bau einer Mauer, welche Dom und Handwerkerstadt von der Bürgerstadt trennte. Grenzen, Macht und Gesetze wurden neu definiert. Erst ab 1820 wurde das Bauwerk abgerissen.

Nietzsche Denkmal
Nietzsche Denkmal

TIPP 1: Der MDR berichtet über die Bürstenmacherin Ursula Römer:

 https://www.youtube.com/watch?v=gefJkH1ghZs

 

Tipp 2: Fahrt mit der historischen Straßenbahn von 1820 durch die Innenstadt. Linienverkehr halbstündlich. Eisenbahnfans kämpften nach folgendem Motto für den Erhalt und die Restaurierung der Bahn: „Die wilde Zicke darf nicht sterben!“

 

Tipp 3: Das Nietzschehaus und Nietzsche Dokumentationszentrum wurde, als wir dort waren, restauriert und soll ab 2022 wieder geöffnet sein. Nietzsche verbrachte einen Teil seiner Schulzeit sowie die Zeit seiner psychischen Erkrankung im Haus seiner Mutter und Schwester in Naumburg.

https://www.nietzsche-dokumentationszentrum-naumburg.de

 

Tipp 4: Demnächst mehr in meinen Reisebriefen. Das Umland von Naumburg: 

Die Himmelsscheibe von Nebra, 

die Puppen von Bad Kösen, 

Goseck - das kleine Stonehenge

 

Tipp 5: Besichtigung des größten Couvée-Weinfasses der Welt und Führung durch die Rotkäppchen-Kelterei. 

https://www.rotkaeppchen.de/sektkellerei/uebersicht/

 

Tipp 6: Gastronomie

Restaurant Athos, Marienstr. 34-35, 06618 Naumburg, 03445-261626

Große Terrasse und Spielplatz, gegen den Hausouzo sind wir machtlos. Schmeckt lecker und man wird nicht betrunken. Komisch!

 

Taj Mahal, Domplatz 12, 06618 Naumburg, 03445-2615082

www.tajmahal-Naumburg.de

Große Gartenanlage, hinter dem Dom, hervorragende indische Küche.

Kommentare: 2
  • #2

    Werner Gollbach (Freitag, 07 Januar 2022 09:23)

    Lieber Henri, vielen Dank für deinen interessanten Reisebericht. Karin und ich waren vor fünf Jahren im Rahmen einer Stewa-Reise nach Leipzig auch für einen Tagesausflug u.a. In Naumburg. Allerdings haben wir damals nur die schöne Uta im Dom und das Rotkäppchen in der Sektkellerei mit einer Führung und Sektverkostung besucht. Leider konnten wir nicht die Altstadt kennenlernen. Deine Ausführungen machen aber Appetit auf einen weiteren Besuch dieser Stadt im Osten Deutschlands.
    Liebe Grüße Karin und Werner

  • #1

    Horst Joachim (Dienstag, 28 Dezember 2021 16:13)

    Danke, lieber Henri, seit man mit dem ICE so schnell nach Berlin fährt, bleibt das Auto in der Garage. Schade, Naumburg zu besuchen ist deshalb noch weniger wahrscheinlich. Gut, dass Ihr es gemacht habt. Danke auch für alle vorherigen Reiseberichte und Anregungen. Dir und Deiner Familie wünsche ich einen guten Rutsch und weiterhin Deine Reisefreudigkeit in guter Gesundheit.
    Herzlichst Horst J