Kulturhauptstadt Mindelo - Musik liegt in der Luft

Kapverdische Inseln Teil 1

Trentino

Autor: Henri du Vinage

Mindelo

März 2024

 

Unser kapverdisches Abenteuer beginnen wir auf São Vicente einer der drei bewohnten Nordinseln. Mindelo, Hauptstadt der Insel und wichtige Hafenstadt, die Stadt der Musik, die Stadt der berühmtesten Sängerin des Archipels Césaria Evora haben wir als erste Station auserkoren.

Mindelos Kolonialbauten
Replik des Torre de Belém aus Lissabon

Allgemeines

Der Archipel umfasst ca. 15 Inseln, von denen 9 bewohnt sind und vulkanischen Ursprung haben. Mit der Entdeckung im 15. Jh. durch Portugiesen und Spanier begann die traurige Geschichte der bis dahin unbewohnten Inselgruppe. Die portugiesischen Eroberer setzten sich gegen die englischen, französischen und holländischen Widersacher durch und nutzten die geostrategische Lage für ihre Wirtschafts- und Machtinteressen. Westafrikanische Sklaven arbeiteten auf den Zuckerrohrfeldern, produzierten das weiße Gold und wurden über den Atlantik nach Amerika eingeschifft, um dort gewinnbringend verkauft zu werden. Das Kolonialregime beutete die Menschen über Jahrhunderte aus und erst im Laufe vieler Repressionen und Freiheitskämpfe erkämpften sich die Kapverden 1975 die Unabhängigkeit. Kolonialbauten, Sprache, Gebräuche und Kunst drücken der Insel den Stempel ihrer portugiesisch-afrikanischen Geschichte auf.

Mindelo: Wohnhaus Césaria Évora
Wohnhaus von Césaria Évora
S. Vicente
Regierungspalast S. Vicente
Mindelo: Rua Lisboa Einkaufsstraße, Bars, Cafés
Rua Lisboa

São Vicente - Landschaft und Mindelo
Blick auf Mindelo vom Monte Verde

Eingebettet in die karge, felsige und graue aus Vulkanen entstandene Landschaft liegt Mindelo. Von der auf einem Hügel gelegenen Pension öffnet sich unser Herz bei dem Blick auf den Hafen, das Meer und die in den Reiseprospekten so gelobten bunten Häuser. Die Unterkunft lebt von der Frauenpower. Rezeption, Taxi- und Tourbuchungen, Abrechnungen, Zimmerservice, Frühstück und viele Tipps erhalten wir von den kapverdischen Mitarbeiterinnen. Männer suchen wir vergeblich in diesem Betrieb. Später erfahren wir, dass die Frauen das „starke Geschlecht“ sind. Sie bekommen die Kinder und schicken die Kerle, da es auf der Insel keine Wüste gibt, in die unfruchtbare und dürre Landschaft. Sie kommen ohne sie klar. Wir, aufgewachsen und erzogen, in einer monogamen Welt versuchen zu begreifen und fragen: „Warum verhütet ihr nicht?“ Die Frauen antworten: „In unserer Kultur sind Kinder wichtig.“ Die afrikanischen Wurzeln des Landes werden hier deutlich, obwohl so sagen uns Einheimische, São Vicente, die am europäischsten geprägte Insel ist. Die Eroberung durch die Portugiesen und die Kolonialisierung seit dem 15. Jh. hat auch sprachliche Spuren hinterlassen. Portugiesisch ist die Amtssprache und wird in den Schulen unterrichtet. Untereinander sprechen die Kapverdier das sogenannte Kiriolu oder Kreolisch. Ein Dialekt mit einfacher Grammatik und afrikanischen und portugiesischen Wörtern. Vor der Reise legte ich mir das Buch „Kapverdisch Wort für Wort“ zu. Trotz aller Bemühungen gebe ich unumwunden zu, dass ich nur einzelne Vokabel aufschnappe, wenn die Insulaner miteinander sprechen. Einige Ausdrücke bringen wir als geistiges Souvenir mit nach Hause: Morabeza – für diesen Begriff gibt es keine Übersetzung. Es bezeichnet die Lebensart der Inselbewohner, die geprägt ist von Gastfreundschaft, Lebensfreude, Gelassenheit und Warmherzigkeit. Morabeza ist ein Gefühl. Wir spüren, erleben und lernen es lieben. Kretcheu/cretcheu: Liebling, Schatz, „ich will dich“ (ich mag dich). Wird oft besungen in den kapverdischen Liedern. Wir finden unseren leckeren Kretcheu. Ein Wein von der Insel Fogo.

Küste zwischen Baia das Gatas und Calhau
Küste zwischen Baia das Gatas und Calhau
Kapverdischer Wein Kretcheu
Rotwein aus Fogo
Baia da Salamansa
Baia da Salamansa

Mindelo, EU Trawler vor den Inseln
Der alte Fischmarkt

Google Map zeigt uns den Weg zum Hafen. Es sind nur 700 Meter durch kleine Straßen. Nachts wird uns empfohlen, für diesen Weg aus Sicherheitsgründen ein Taxi zu nehmen. Wir walken an zahlreichen Kolonialgebäuden vorbei. Alles gepflegt! Schnell erreichen wir den kleinen Hafen. Einige Fischer putzen ihren Fang und verkaufen ihn auf den Bürgersteigen. Direkt am Fischmarkt finden wir ein Relikt aus der Kolonialzeit. Den verkleinerten Nachbau des Lissabonners Torre de Belém vom Anfang des 19. Jh. Der Markt duftet nach Meer. Den strengen Fischgeruch, den wir von anderen Fischverkaufsstellen kennen, gibt es in dieser kleinen Markthalle nicht. Alles ist picobello sauber. Unser Abendessen steht fest. Thunfisch, der sich hier im Atlantik tummelt. Neben dem alten Fischmarkt entsteht ein Neubau. Ein Markt nach EU-Vorschriften. Fischer erzählen uns, dass die EU in den Gewässern der Kapverden mit Trawlern fischt. Das Fischereiabkommen wird immer wieder kritisiert. Die Kontrollmöglichkeiten der Fangquoten sind aufgrund fehlender technischer und finanzieller Möglichkeiten unmöglich. Der Preis, den die EU pro Tonne Fisch bezahlt, wird von Kritikern als miserabel bezeichnet.

Um Mindelo herum

Auf dem Monte Verde
Auf dem Monte Verde
Höchster Erhebung S.Vicentes: Monte Verde
Blick vom Monte Verde
Mindelo: seltene Landwirtschaft
Seltene Landwirtschaft in S. Vicente

Küstenabschnitt in der Nähe des Praia Grande
Küstenabschnitt in der Nähe des Praia Grande
Mindelo by night
Mindelo
Mendelo Stadtstrand
Stadtstrand Praia Da Laginha Mindelo

Césaria Évora in die Hauswand gemeißelt - Mindelo
Césaria Évora

Das Leben spielt sich rund um den Hafen ab. Restaurants, Afrikamarkt, Fähre nach San Antão, Geschäfte aller Art, Touristen, Einheimische, Stadtstrand und überallhin verfolgt uns Césaria Évora. Der kapverdische Star hat die Morna, die melancholischen Lieder, in die Welt getragen. Ihr eigenes hartes Leben prägte sie in ihrem Gesang und erst mit Ende 40 schaffte sie den künstlerischen Durchbruch. Bei unserem Spaziergang entdecken wir ein Porträt auf einer Hauswand. Bei näherer Betrachtung bemerken wir, dass die Büste minuziös in die Wand gemeißelt wurde. Das Leben der 2011 verstorbenen Künstlerin beleuchtet die Doku aus dem Jahr 2022: Césaria Évora Trailer

Der Hunger treibt uns zum ersten kapverdischen Mahl in das Restaurant Nautilus direkt am Hafen. Wir bestellen Fisch, obwohl wir mit dem Nationalgericht Cachupa sympathisieren. Ein Eintopf aus Mais und Bohnen, den die Menschen morgens, mittags und abends in verschiedenen Varianten speisen. Bemerkenswert ist ein Eintrag auf der Speisekarte zum Thema Hygiene. Auf den Einsatz von modernster Küchentechnik und HACCP (Kontrolle der Lebensmittelkette) weisen die Gastronomen hin. Das habe ich auf den Kapverden nicht erwartet, nach allem, was ich zum Thema Reinlichkeit/Gesundheit vor der Reise gelesen hatte. Ich folgte sogar dem Ratschlag eines Arztes und kaufte Tabletten zur Trinkwasseraufbereitung. Das Päckchen kam ungeöffnet wieder zurück nach Deutschland.

Pico des Günen Berges
Gipfel des Monte Verde

Vor der Pension wartet Taxifahrer Rey, mit dem wir eine Tagesfahrt über die Insel gebucht haben. Die karge Landschaft mit dem nicht vorhandenen Grün der Pflanzen, schmerzt in unserer Seele und das lebensnotwendige, aber fehlende Wasser, lässt uns die Traurigkeit der traditionellen Lieder hautnah fühlen. Die Kapverdier suchen bis heute ihr Glück im Ausland. Die Diaspora wird auf eine Million Menschen geschätzt. Das sind etwa doppelt so viele, wie der Archipel Einwohner hat. 

Wir kommen auf dem Gipfel des Monte Verde an. Von der 750 Meter hohen Erhebung erfahren wir Mindelo mit der pulsierenden Lebensfreude, der Morabeza wie eine Oase in der Kargheit. Drüben tauchen die Umrisse der Nachbarinsel Santo Antão auf, wo Obst und Gemüse dank der vorhandenen Wasserresourcen gedeihen. Eine Bude auf dem Pico, dem Gipfel, versorgt die Reisenden mit Getränken und Snacks. Rey empfiehlt: „Koste den Grogue de mel de cana (Zuckerrohrschnaps mit Melasse)“. Ich probiere ein Minigläschen und es schmeckt erdig und feurigsüß. Aber Achtung! Der Schnaps enthält zwischen 45-50 % Alkohol.

Wir fahren verschiedene, zu dieser Jahreszeit menschenleere Strände an, unter unseren Fußsohlen knirscht der Sand, einige Einheimische verkaufen Nippes und Süßigkeiten. Der Atlantik peitscht das Meer an den Strand und Rey erwähnt: „Die Buchten sind kein Planschbecken. Auch für gute Schwimmer sind die reißenden Strömungen extrem gefährlich. Erkundigt euch, wann und wo baden ungefährlich ist.“ Für uns ist es sowieso kein Badewetter. Windig und nur knapp über 20°C. Berühmtheit hat der Festivalstrand Baía das Gatas erlangt. Das populäre Festival findet seit 1984 immer an einem Vollmond Wochenende im August statt. 15.000 Besucher feiern Künstler überwiegend aus den Kapverden, Brasilien und Portugal. Familien campen am Strand, lauschen der Musik, tanzen, trinken und futtern ihre mitgebrachten Speisen. Wir landen in Calhau, einem Dorf, das ca. 20 km von Mindelo entfernt ist. An den Sommerwochenenden ist hier der Teufel los und Partys sind angesagt. Heute schlendern einige Besucher durch den fast leblosen Ort und die Reisegruppen treffen sich im Restaurante Hamburg. Die Küche ist traditionell und das feine, zarte Fleisch des Sägefischs zergeht auf der Zunge. Das einheimische Bier Strela Kriola hält uns fit für weitere Unternehmungen. 

Baia das Gatas Restaurant Hamburg
Restaurant Hamburg in Calhau
Party zur jeder Vollmondnacht im August
Festivalstrand Baia das Gatas
Der Strand der Katzen (schönen Mädchen)
Baia Das Gatas

Mindelo: Mandinkas zum Karneval
Mandinka

Im urbanen Mindelo fängt uns der Pre-Karneval ein. Eine Gruppe schwarz bemalter, gruseliger, ruppig auftretender Typen streift durch die Straßen. Einer dieser Kerle schneidet Grimassen und kommt stracks auf mich zu. Ich bekomme Gänsehaut. Die Mandingas sind los. Seit Mitte des 20. Jh. läuten die Mandingas (auch Mandinka) die tollen Tage ein. Die dunklen Männer und Frauen halten das Bewusstsein ihrer afrikanischen Herkunft wach. Während der portugiesischen Kolonialzeit waren die alten Gebräuche und Rituale verboten. Die heutigen Mandinka-Völker leben überwiegend in Guinea, Mali, Senegal, Gambia und Ghana (ca. 8 Millionen Menschen – Quelle Wikipedia).

Am nächsten Morgen spazieren wir zum Fähranleger und ich habe Angst, dass wir keine Tickets mehr nach San Antão ergattern. Läuft unproblematisch, nachdem ich den Reisepass vom Hotel hole. Wir zahlen mit Visa und sind 2 Tage später am Kai. Fast alle Reiseführer oder -berichte schreiben, dass die Nutzung von Kreditkarten selten akzeptiert wird. Das Gegenteil ist der Fall. Wir begleichen die Rechnungen meistens mit Karte. 

Rey inzwischen Freund und Fahrer bietet sich an, uns nach S. Antão zu begleiten und seine Heimatinsel zu zeigen. Drei Tage werden wir mit ihm herumkutschieren. 

TIPP 2:

Flug mit TAP von Frankfurt über Lissabon nach Mindelo

Inlandsflug mit Bestfly: bestflycaboverde.com

Ab 65 Jahren gibt es 40 % Rabatt.

Bei schlechten Wetterbedingungen kann es zu Verspätungen kommen: 

Stürme oder „Sahara-Nebel“ (Bruma seca).

TIPP 3:

Pension Solar Windelo – einfache Pension mit tollem Blick über Stadt und Hafen. Eigentümer deutsch/französisches Paar. Transfer vom Flughafen und Vermittlung von zuverlässigen Taxifahrern (Rey).

TIPP 4:

Der Stadtstrand Praia da Laginha ist fußgängig vom Hafen zu erreichen. Zum Schwimmen und Träumen.

TIPP 5:

Geld

Überall ist es möglich, mit Euro zu bezahlen. Entspricht fast dem offiziellen Wechselkurs 1:1. Kreditkarten werden oft akzeptiert.

TIPP 6:

Wetter und Reisezeit 

Die Kapverden können ganzjährig bereist werden. Im Winter, Januar bis April, liegen die Temperaturen zwischen 20 und 25°C und im Sommer steigt das Thermometer auch über 30°C. Die Regenzeit ist zwischen August und November, aber der Klimawandel macht keinen Umweg an den Kapverden vorbei. Regen fällt wenig, die Temperaturen steigen. Das Wetter auf den Inseln unterscheidet sich, deshalb vorher prüfen.

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Kommentare: 5
  • #1

    Baldauf Gabriele (Samstag, 23 März 2024 18:57)

    Dankeschön für den kleinen Reiseeinblick. Ist wieder sehr interessant. Es gibt noch so viel zu sehen und zu erfahren. Einfach toll. Ich empfehle das weiter
    Liebe Grüße zur Zeit von La Palma Gabriele

  • #2

    Werner Gollbach (Freitag, 05 April 2024 10:28)

    Lieber Henri, danke für sehr interessanten Reisebericht über die Kapverden. Du hast uns mit deinem Bericht in einen Teil unserer Erde mitgenommen, den wir sicherlich nicht mehr persönlich kennenlernen werden.
    Du hast uns einen sehr lebendigen Einblick in die Geschichte, die Kultur, die Landschaft und die Morabeza dieses Landes vermittelt. Dazu kommen die tollen Aufnahmen, die die Eindrücke deiner Schilderungen noch untermauern. Ich freue mich schon auf die Teile zwei und drei.
    Nochmals herzlichen Dank und liebe Grüße
    Karin und Werner

  • #3

    Walter Ullrich (Mittwoch, 17 Juli 2024 17:36)

    Hallo Henri,
    Wie früher mal geschrieben mussten wir erst eine Woche Urlaub im Elsass machen um den ersten Bericht über die Kapv. Inseln zu lesen. Nach einer anstrengenden Tageswanderung im Süden des Elsass (Ferrette) liegen wir an unserem Karpfenteich und ich lese mir bei einer Tasse Kaffee deinen Bericht durch. Später werde ich den Kaffee durch einen Cremant d'Alsace ablösen oder auch einen Weißwein aus der Gegend.
    Bis dann und liebe Grüße
    Walter

  • #4

    Horst K (Mittwoch, 07 August 2024 17:10)

    Servus, lieber Henri, mir tun die Kapverdischen Männer leid, die unnütz sind und ins Ausland gehen müssen. So sieht es also im Matriarchat aus.

  • #5

    Treichel,Christa (Dienstag, 10 September 2024 17:15)

    Hallo Henri,danke für den schönen informativen Bericht über die Kapverden