Brandenburg - Kunst und Natur

Umland von Berlin - Schlossgut Schwante
Umland von Berlin - Schlossgut Schwante

Autor: Henri du Vinage

Deutschland

November 2020

 

So manches Mal verliere ich die Orientierung bei den Spaziergängen durch die Stadt. „War das West oder Ost?“ Ein erfreuliches Zeichen. Es wächst zusammen. Auch in meinem Kopf. Außerhalb Berlins, in Brandenburg, entdecken wir Natur und Kunst.

Um Berlin in allen Facetten kennenzulernen reicht ein Menschenleben nicht aus. Auf die Welt gekommen bin ich im Westteil der Stadt. Das Grau der Mauer beeindruckte nur meine Freunde, denn der Garten meines Elternhauses stoppte an der Grenzbefestigung. Zwischen wenigen Metern Niemandsland und Grenzmauer wucherte Unkraut, welches immer mal wieder weggespritzt wurde. Dahinter ragte ein Wachturm empor, besetzt mit zwei jungen Soldaten, die den Überblick über das Geschehen entlang des Todesstreifens behielten und hofften, die Waffen nicht benutzen zu müssen. Als Jugendliche, wenn die Eltern verreist waren, feierten wir Parties im Garten. Die Jungs vom Turm riefen: „Werft mal ein Bier rüber“ und schon flogen zwei Flaschen über die Mauer. Unauffällig prosteten wir uns zu, denn für die beiden war dieser unerlaubte Kontakt mit dem Klassenfeind gefährlich. 

Den Mauerfall erlebte ich aus der Ferne. Mit meiner Familie waren wir aus- oder zurück nach Brasilien gewandert. Häufig wurden wir befragt: „Wie ist das mit der Grenze? Wo liegt Berlin? Wann wird es eine Wiedervereinigung geben?“. Die Antwort lautete immer: „Das werden wir nicht mehr erleben.“ Es kam anders. Am 9. November 1989 fiel die Mauer.

Bis heute fühle ich mich in Ostberlin fremd. „Westberlin“ bleibt meine Wohlfühlregion. Damals zog ich am Kurfürstendamm und den Seitenstraßen, in Schöneberg oder in Zehlendorf um die Häuser. Eine Sperrstunde war uns unbekannt, zum Frühstück, um fünf Uhr morgens, verspeisten wir ein Pfeffersteak und tranken einen Absacker. Diese Veränderung ist großartig. Heute liege ich allmorgendlich im Bett und schnarche. Der Osten strahlt weltweit ein internationales, kulturelles Flair aus und ist em vogue mit seiner Kunst- und Kulturszene. So manches Mal verliere ich die Orientierung bei den Spaziergängen durch die Stadt. „War das West oder Ost?“ Ein erfreuliches Zeichen. Es wächst zusammen. Auch in meinem Kopf.

Hof Windkind
Die Walnusspflanzer - David & Silvia ©Hof Windkind

Für den diesjährigen Trip planen wir zwei Besuche 35 Kilometer außerhalb Berlins. Bei Oranienburg erstreckt sich der Hof Windkind, eine Bio-Walnussplantage. Wir haben dort eine Führung gebucht und treffen pünktlich, auf dem Waldparkplatz am Rande der Pflanzungen, ein. Erwartungsvoll schauen wir uns um. Wo ist des Farmers Herrenhaus? Wo ist der Shop? Wo bleibt der Pflanzer? Kein Haus. Kein Verkaufsladen. Kein Landwirt. Peu à peu trudeln weitere Besucher ein und schließlich David, der Bio-Agrarwirt, mit Frau und Kind. David erklärt uns, dass er immer die Vision einer naturnahen Landwirtschaft hatte und nie verstand, warum Bio-Walnüsse aus den USA oder China importiert werden. Das widersprach seiner Überzeugung von kurzen Strecken zwischen Erzeugern und Verbrauchern. 2013 entschloss sich die Familie bio-veganen Landbau, mit Walnussbäumen aufzubauen. Trotz größter Schwierigkeiten, Ackerland zu kaufen, wurden sie in Brandenburg fündig. „Selbst internationale Fonds und Unternehmen investieren heute in Agrarflächen“, betont David, „das verteuert Grund und Boden.“ Heutzutage bewirtschaften sie 50 ha Fläche, verstreut in der Gemeinde. Für das nächste Jahr ist das Hofgebäude mit Shop geplant. Wie wir später erfahren, hängt diese Investition von der Ernte ab. Da spielt die Natur dem Landwirt so manch bitterbösen Streich. 

©Hof Windkind
©Hof Windkind

Wir stapfen durch den tiefen und nassen Boden. Es nieselt. Während der zweistündigen Führung berichtet uns der engagierte David von den Schwierigkeiten. Der Klimawandel bringt extreme Wetterereignisse hervor, wie Starkregen, Dürre, Hitze und außersaisonale Frostperioden. Um den Wetterextremen Paroli zu bieten, entwickelte er ein ausgeklügeltes Wassermanagementsystem, bestehend aus Retentionsbecken (Rückhaltebecken), dessen obere Schicht aus wasserdurchlässigem Lehm gebaut wird, um ein langsames Absickern in den Boden sicherzustellen. Ein steuerbares System von Gräben, ohne Pumpanlagen und Strom, reguliert die Abgabe von Wasser nach Bedarf. Der Familie ist es wichtig naturnah anzubauen und vorhandene Ressourcen intelligent zu nutzen. Des Unternehmers Begeisterung über seine Art der Landwirtschaft zu erzählen steckt die Gruppe an und so führt David weiter aus: „In Brandenburg regnet es wenig, nur 500ml/m². Deshalb lassen wir überall die Gräser wachsen. Diese beschatten den Boden und sammeln das Tauwasser. Das können in einer Nacht bis zu 300.000 Liter sein. Wir setzen keine tierischen Dünger ein und nutzen Heuscheiben um die Baumstämme herum. Das hält die Feuchtigkeit und wird später zu Humus.“ Der Bauer schwärmt weiter von den Pfahlwurzeln der Walnussbäume, von den neuen Haselnusspflanzen, von den Baumpatenschaften und vom Baumkindergarten. „So jetzt geht’s zur Verkostung“, schließt der Landwirt nach fast zwei Stunden den Spaziergang und übergibt die hungrige Gruppe seiner Frau. Mit selbstgebackenem Walnussbrot, Olivenöl von einem Freund aus einer griechischen Bioplantage, Haselnussöl und Walnüssen verwöhnt uns die Mitgründerin Silvia. Nebenbei erfahren wir von den vielen sozialen Projekten, welche die beiden unterstützen.

©Hof Windkind
©Hof Windkind
©Hof Windkind
©Hof Windkind

©Toshihiko Mitsuya or Photo by Shinji Minegishi
©Toshihiko Mitsuya or Photo by Shinji Minegishi

Wochen davor fiel mir ein Artikel aus der englischen Tageszeitung „The Guardian“ in die Hände. „Germany’s new sculpture garden“, wurde getitelt in der Rubrik Holidays. Das Glück war uns hold, denn zu dem geplanten Reisetermin fand eine Führung im Skulpturengarten des Schlosses Schwante statt. Wir ergatterten Karten (Juli 2020).

Wiederum in Brandenburg, wiederum in der Nähe von Oranienburg, wiederum auf dem Land und wiederum mit kreativem Gestaltungsdrang. Hanno Plate, der Direktor des Parks begrüßt die Besucher. Sein Sohn, 4-5 Jahre jung ist dabei und der Parkleiter wirkt wie ein alternativer Landwirt oder Kneipier. Seine Ruhe und Gelassenheit verströmt familiäres Flair. Er entschuldigt sich, dass die Eigentümer nicht die Führung durch den Skulpturenpark leiten. „Sie ziehen heute um“, und er deutet auf die Umzugswagen in Richtung Schloss. Die Kunstverliebten Dr. Loretta Würtenberger, einst mit 25 Jahren Deutschlands jüngste Richterin, später Gründerin eines Internetunternehmens und Daniel Tümpel, Investmentbanker, als Kind umgeben von Kunst, sein Vater war Kunsthistoriker und Rembrandtexperte, seine Mutter Museumsdirektorin, kauften gemeinsam mit vier Sprösslingen das Schloss Schwante. 

„Der Skulpturenpark umfasst 10 ha von insgesamt 18 ha Land. Die Werke brauchen Ruhe und Meditation“, erläutert der gelassene Guide und fährt fort: „Die Künstlichkeit verschmilzt mit der Wildheit der Natur und nehmt euch Zeit, die Skulpturen zu erleben. Frau Pape, die Leiterin der königlichen Gartenbauakademie, saß auf dem Rasenmähtrecker, um „mehr Drama“ in die Wege zu schneiden.“ Er ergänzt: „Die Verbindung von Kunst und Natürlichkeit entstand aus dem Moment und dem Gefühl der spontanen Kreativität heraus.“ 

Prominent platziert am See ragt das Neonkunstwerk von Martin Creed hervor. Erst beim Einbruch der Abenddämmerung verstehen wir. Der Schriftzug spiegelt sich seitenverkehrt im Wasser: „Everything is going to be alright.“ Die Reflexion verrät, dass eben doch nicht alles alright ist. Am Eingang des Parks weht die Fahne der Menschenrechte, kreiert zum 70. Jahrestag der Menschenrechtsdeklaration vom chinesischen Künstler Ai WeiWei. Die blaue UN-Flagge ziert ein weißer Fuß, Symbol für das Leid der Menschen weltweiter Migration. Ich denke dabei an die syrischen und afghanischen Flüchtlinge in unserem Wohnort in Hessen, die Fernsehberichte aus Myanmar über die Vertreibung der Rohingya und meine Gedanken kreisen, um die Ungerechtigkeiten, die Ausbeutung der Armen und Ärmsten, den Wohlstand der Industrienationen und die Sinnhaftigkeit der Kunst in den Tresoren einiger reicher Sammler. 

Ein wenig weiter beeindruckt uns der Aluminiumgarten des in Berlin lebenden Künstlers Toshihiko Mitsuya. Die Blüten, Blätter und Stängel bewegen sich im Fluss des Windes, rascheln, knacken, reiben sich aneinander, das Sonnenlicht blitzt, reflektiert und streut Farben. Künstliches und Natur vereinen sich, unsere Augen und Ohren reagieren reizüberfordert. Die Nase schnuppert die Duftnoten des frisch gemähten Grases und die von der Brise heranwehenden unsichtbaren Teilchen. Wir verschmelzen innig mit Kunst und Natur. Schade, dass die Zeit für längere Meditation fehlt. Ich rufe den japanischen Künstler Toshihiko Mitsuya an und frage ihn, ob ich sein Foto veröffentlich darf. Darauf antworte er (ins Deutsche übersetzt): „Bitte besucht Schloss Schwante im nächsten Jahr wieder, dann habe ich neue Pflanzen gesetzt.“ 21 Werke, zwei haben aufgrund der Pandemie den Weg in den Park noch nicht gefunden, laden zum Nachdenken, Reflektieren, Meditieren ein. Hanno Plate hauchte den Kunstwerken Leben ein, nahm uns mit auf eine Reise voller Schwingungen zwischen Kunst und Natur.

(Leider war es aus urheberrechtlichen Gründen nicht möglich, mehr Bilder aus dem Park zu zeigen. Schade!)

Tipp 1: Hof Windkind, großartige Philosophie, Konzept und soziale Projekte. Erstklassige Bioprodukte: Walnüsse, Haselnüsse und Bio-Öle.

Patenschaften dürfen übernommen werden. 

https://www.hofwindkind.com

 

Tipp 2: Schlossgut Schwante, Schlossplatz 1-3, 16727 Oberkrämer OT Schwante,

 Winterpause bis 30. April 2021 – Vormerken für das nächste Jahr. Empfehlenswert  Abo des Newsletters.

https://schlossgut-schwante.de

 

Tipp 3: Königliche Gartenakademie, Altensteinstraße 15a, 14195 Berlin.

Tel.: 030-8322 090 0, Café: 030-8322 090 29

In unmittelbarer Nähe des Botanischen Gartens. Für Gartenfreunde ein Erlebnis. Einkaufsmöglichkeiten für das eigene Biotop.

https://www.koenigliche-gartenakademie.de

 

 

 

Kommentare: 3
  • #3

    Peter Schniz (Dienstag, 24 November 2020 19:49)

    Lieber Henri,
    danke für deinen eindrucksvollen Reisebericht. Wir konnten an eurer Reise quasi mit allen Sinnen teilhaben. Für nächstes Jahr steht Berlin auf unserem Programm, dann sind wir auch für diese Tipps sehr dankbar.
    Liebe Grüße Peter

  • #2

    Nachbar Manfred (Montag, 23 November 2020 12:44)

    Lieber Henri, habe mit Interesse Deinen Reisebericht aus Berlin gelesen. Sofort war ich erinnert an den Besuch der TULIPA zusammen mit meiner Schwägerin Barbara, die leider vor einigen Monaten verstorben ist. Sie hat uns Berlin - Ost und West- nähergebracht. Dafür sind wir ihr sehr dankbar. Liebe Grüße, auch an Ana-Maria. Manfred

  • #1

    Werner Gollbach (Sonntag, 22 November 2020 08:17)

    Lieber Henri, vielen Dank für den interessanten Ausflug in das Berliner Umland. Dein Bericht lässt uns wieder neue Eindrücke über Kunst, Kultur und Natur erleben.
    Werner