Das zweifelhafte Vergnügen einer Gruppenreise

Nicosia, Grenzübergang von "Nordzypern" nach Zypern
Nicosia, Grenzübergang von "Nordzypern" nach Zypern

Autor: Henri du Vinage

Nordzypern 

Zugegeben, niemals haben wir uns mit dem Gedanken getragen eine Gruppenreise zu buchen und dann gibt es ein Angebot, welches nicht abgelehnt werden darf. Wir buchen und davon werde ich diesmal berichten. Der Schwerpunkt liegt auf meinem subjektiven, vorurteilsgeprägten Blick auf die organisierte Reise mit anderen Touristen.

Pittville Pump Room, Cheltenham

Die Sonnenstrahlen blinzeln auf den Frühstückstisch, der Kaffee beduftet Küche und Wohnzimmer mit frisch gemahlenen Arabicabohnen und die Würznoten von Zimt und Kardamom betören Nerven und Geist. Das ofenfrische Dinkelbrötchen mit Butter und dickem Belag meiner derzeitigen italienischen Lieblingsmarmeldade aus Bitterorangen zergehen auf der Zunge. Fast wie im Urlaub, aber eben nur fast.

Frisch aus dem Briefkasten geholt, liegt die ADAC-Zeitschrift auf dem Tisch. Sie verstärkt die Urlaubsgefühle. Ich blättere herum, lese einen Artikel über Elektromobilität und dann die einseitige Anzeige: „15 Tage, 5-Sterne-Reise Zypern“. Darunter Hochglanzfotos der antiken Kultur: „Tag 1-7 Studienreise plus Tag 8-15 Erholung im 5-Sterne-Luxushotel direkt am Strand – GRATIS ... ab 179 € – Ihre Ersparnis 1.000 €“. Üblicherweise landet so etwas bei mir im Papierkorb. Aber diesmal lacht die Sonne, der Kaffeeduft zieht empor, die Welt ist rosig und der Preis ist ein Gedicht. „Das ist Beschiss“, unterbricht meine Frau die Reiseträume von Kultur und Luxus, „und dann noch eine Gruppenreise“, stellt sie mit mahnendem Unterton fest. Zugegeben, eine solche Reise haben wir noch nie gebucht wir sind eingefleischte Individualreisende.

„Gruppenreisefeeling – wir beraten Sie gerne“: Anruf im Call-Center. Endlich einmal persönliche Unterstützung. Meine Fragen beantwortet die Dame mit fulminanter Sicherheit, locker und höflich. Klar, trainiert. Der Preis erhöht sich im Laufe des Gesprächs um das Halbpensionspaket von 139 € für die erste Woche pro Person. Für die zweiten sieben Tage ist es möglich dieses zum gleichen Preis Vorort zu kaufen. Nach gemeinsam erfolgter Rechnung betragen die Kosten für uns, meine Frau und mich, 876 €, inklusive Flug, Transfer, 14 Übernachtungen mit Frühstück, Saisonzuschlag (November), Genusspaket (Abendbüfett) für 7 Tage und 7-tägige Busrundreise mit Reiseleiter und Eintritt zu Museen und Sehenswürdigkeiten. „Geschenkt“, sind wir uns einig. „Klar, da kommt noch etwas dazu und dann wahrscheinlich die Besichtigungen von den Leder-, Teppich- und Schmuckmanufakturen. Da sollst du kaufen. Aber wir brauchen ja nichts“, diskutieren meine Frau und ich. Hoffentlich entwickelt sich unser spontaner Entschluss nicht zu einem Fiasko. Was soll es, die Entscheidung ist getroffen. Das Genusspaket für die zweite Woche wird Vorort gebucht. Wer weiß, wo das Hotel liegt. Abgelegen, irgendwo an den romantischsten Stränden der Insel, keine Dorfkneipe, geschweige denn ein Restaurant zu erwandern. Also kalkulieren wir schon einmal das zweite Genusspaket mit 278 € dazu. Tutto completo 1.158 €. Das ist immer noch top und wir sind uns klar darüber, dass einige zusätzliche Kosten für Ausflüge und andere Aktivitäten dazu kommen würden.

Bestätigungsschreiben flattern ins Haus. Alles ist wie besprochen. In den nächsten Tagen erreicht uns Werbung: China, Vietnam, Thailand. Die Welt steht jetzt offen. Einige Wochen später checken wir am Flughafen Frankfurt ein. Da Nordzypern nicht direkt von Deutschland angeflogen wird, sind wir gezwungen zwischenzulanden. Eine Folge des Zypernkonflikts, welcher seit 1974 auf eine Lösung wartet. Da wir den türkischen Teil Zyperns bereisen, der von der EU als eigenständiges Land nicht anerkannt ist, landen wir in Antalya, auf türkischem Staatsgebiet. Touchdown, kein Aussteigen oder Umsteigen. Es geht gleich weiter. 

Antikes Sálamis bei Famagusta
Antikes Sálamis bei Famagusta

Mit Entsetzen stellen wir fest, dass die Reisenden des kompletten Fliegers mit dem gleichen Veranstalter gebucht haben und in unseren kühnsten Gedanken malen wir uns aus, wie die Karawane Nordzypern platt macht und wir von Einkaufstempel zu echten, antiken Tempeln getrieben werden. Hier noch eine Lederjacke, dort noch ein Parfum, ein kleiner Edelstein, eine Tempelanlage und ein Amphitheater, ein goldenes Armband und zur Beruhigung Tee.

Landung auf dem nordzypriotischen Flughafen Erkan etwa 10 km von Nikosia entfernt. Wir strömen zu den Gepäckbändern, kramen die Gruppenreiseunterlagen und Vouchers heraus und werden dann professionell zu einem Counter auf den Parkplätzen geleitet. Die Gruppe wird in verschiedene Busse aufgeteilt und wir sind froh, dass die Dame, die neben uns stand und von ihren Schickimickireisen laberte, in ein anderes Fahrzeug steigt.

In unserem Reisebus treffen schließlich 36 Touris aufeinander. Einige plaudern über ihre Fahrten mit der Reisegesellschaft, andere kennen bereits beide Teile Zyperns und berichten: „Das Land ist arm und es ist noch viel zerstört oder in baufälligem Zustand. Die Leute sind nett, aber sprechen nur türkisch. In den Hotels wird Englisch oder manchmal auch deutsch gesprochen.“ Unser Marco Polo- und Wikipediawissen wird fachmännisch ergänzt. 

Inzwischen ist Dunkelheit eingekehrt und wir schaukeln nach Famagusta in das erste Hotel: Arkim Palm BeachHotel, Famagusta

Die Guides bemühen sich das Genusspaket an jedermann/-frau zu bringen. Ein Paar lässt sich nicht erweichen, denn sie lieben die abenteuerliche Suche nach zypriotischer Gastronomie. Später stellen sie fest: „Wir sind uns die Füße nach Futter wundgelaufen.“ Der Reiseleiter gibt bekannt: „Alle die das Inklusive Paket (Halbpension) gebucht haben, bekommen auch nach 22:00 Uhr noch Essen.“ Die Sparfüchse sind ausgeschlossen.

Es ist für alles gesorgt. Wasser und Wein, türkische, zypriotische und internationale Speisen warten nur darauf vom Büfett gepflückt zu werden. An der Bar versammeln sich einige Gesprächsaffine zu einem Schlummertrunk: „Was trinkst du so – Ouzo?“ Ich antworte: „Nee, Raki.“ 

Voller Spannung erwarten wir den ersten Erlebnistag. Nachdem reichhaltigen und vielseitigen Frühstück packen wir Fotoapparat, Sonnencreme, Mütze und sonstige Klamotten für den ersten Tagesausflug zusammen. Der Guide erklärt Touren und weitere Details der Reise, unsere Ziele am heutigen Tag und Praktisches, wie Wasser an Bord, Toilettenpausen, um dieses wieder loszuwerden und erzählt die Geschichte der Insel: 

„Cyprus, liebe Gäste, bedeutet Kupfer ...“.

Girne - Keryneia - Kyrenia
Girne - Keryneia - Kyrenia

In dieser ersten Woche wechseln wir einmal das Resort:

Riverside Garden Resort Kyrinea/Lapta

Die grüne, satte Vegetation prägt die Wege durch die Hotelanlage mit zahlreichen 3-stöckigen Gebäuden. Bald laden die Bananenstauden die Hotelgäste zum Ernten der reifen Bananen ein. Hunderte von Katzen teilen sich zusammen mit den scheuen Echsen die parkähnliche Anlage. Die Zimmer sind gerade so akzeptabel. Das sogenannte Restaurant gleicht einer Fabrikkantine der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts. Der Geräuschpegel vergällt die Freude an Gesprächen, das Essen präsentiert sich fantasielos in der Mitte der Halle und die zypriotische Gewürz- und Speisenvielfalt findet hier nicht den Weg zum Gast. Vier Tage später brechen wir zu anderen Ufern auf.

Die täglichen Touren der ersten Woche sind professionell organisiert. Der Reiseleiter beschreibt und erklärt die Geschichte, Politik und das Desaster des Krieges von 1974. Mich erschreckt, wie wenig ich über Zypern weiß. So nah und trotzdem so weit. Wir werden aufmerksam auf die Stationierung der sogenannten UN-Friedens-Truppen, die Sperrzonen und Minenfelder, die Grenze – Green Line, die zerbombten Häuser und die Geisterstadt in Famagusta. Die Frage, warum die Männer den ganzen Tag in den Kaffeehäusern sitzen, erklärt unser Guide so: „Wisst ihr, die Frauen treffen sich jeden Tag im Hause einer Freundin. Sie quatschen, tratschen, nähen und lästern. Heute sind sie beispielsweise bei Fatma. Dann müssen die Männer raus aus den Häusern und so schleppen sie sich mit traurig, herunterhängenden Schultern ins Kaffeehaus. Die Armen.“

Hotel Kaya Artemis
Hotel Kaya Artemis

Shoppingtouren. Diese sind aus unserer Sicht Zeitverschwendung, uninteressant und die Produkte überteuert. Andere Teilnehmer freuen sich darauf. Schließlich muss die nord-zypriotische Wirtschaft angekurbelt werden. Drei Verkaufsfabriken besuchen wir: Schmuck, Leder, Teppiche. Alle drei sind professionell geführt und unter Vertriebsaspekten, als Vertriebs- und Marketingmann a.D. kann ich das beurteilen, sehr gut organisiert. Die Verkaufsmitarbeiter haben ihr Handwerk gelernt. Die Veranstaltungen liefen immer nach dem gleichen Muster ab: Präsentation des Unternehmens, Vorstellung der „exklusiven Produkte“ in großer Runde, dann werfen die Verkäufer ihre Angeln mit dicken Haken aus. Alle sprechen perfekt deutsch. Die Shows beeindrucken. Modenschau Leder – gerne unter Einbeziehung der zukünftigen Käufer. Teppichshow – Teezeremonie und Demonstration der Teppiche in allen Größen, Mustern, Materialien mit Erklärungen zum Handwerk. Hohe Webkunst. Schmuckherstellung – Bearbeitung der Steine, Schmuck als Geldanlage. Die Konditionen werden im „Separee“ verhandelt. Fast immer fallen die Preise um die Hälfte oder mehr. Seriös oder unseriös? Wir kaufen nichts. Das hatten meine Frau und ich uns vorgenommen.

Zypriotischer Abend. Am freien Tag der ersten Woche bietet der Reiseleiter das Entdeckerpaket an. Tagesausflug zu diversen Sehenswürdigkeiten und volkstümlicher Abend für 69 € pro Person. Die Besichtigungen sind lohnenswert. Der Folkloreabend entpuppt sich als Katastrophe. Jede Schüleraufführung ist um Klassen besser. Aber gut, das nehmen wir hin und bedauern die „Künstler“. Das all-inclusive Paket für Getränke und Knabbereien wird uns empfohlen. Die Preise der Einzelgetränke sind so hoch, dass keine andere Wahl bleibt. Her mit all-inclusive! Bestellt, bezahlt, Trinkgeld gegeben. Nach zweieinhalb Stunde ist das Leid vorbei und kurz vor Schluss kommen die Kellner mit dem Trinkgeldkörbchen und bedrängen die Gäste mehr zu geben. Unangenehm!

Abgelegene Hotels. Wie zu erwarten war, liegt das Hotel der letzten Urlaubswoche am Ende der Welt. Die nächst größere Stadt, Salamis, ist ca. 40 KM entfernt. Die Hotelanlage entpuppt sich als Hingucker mit antiker Architektur, dem Artemistempel nachempfunden:  

Hotel Kaya Artemis Resort & Casino

Bei Dunkelheit laufen wir an der angestrahlten Antike vorbei, begleitet von Zeus und die Schatten von Aphrodite und Adonis huschen an den Säulen entlang. Speisenangebot und Service lassen keine Wünsche offen. Hinter den langgestreckten Stränden entstehen weitere Resorts. Das Wetter ist sonnig und warm, so spazieren wir am Beach und die Mutigen hüpfen ins Wasser. Wir buchen einen Trip in den griechischen Teil Zyperns. Wieder 119 €. 

Schade, dass Reiseunternehmen es nötig haben, mit dieser Verschleierungstaktik Kunden an Land zu ziehen. Wir spüren intensiv, dass Verkauf und die Bewertung des Reiseleiters nach einem Punktesystem auf dem Fragebogen essenziell sind. Unsere Beurteilung des Guides fällt sehr gut aus, die Wertung der Reise mittelmäßig. Bei uns entsteht der Eindruck, dass jeder Verkauf, ob Shopping oder Extratouren, an das Vergütungssystem der Mitarbeiter gekoppelt ist. Das kann es auch, darf aber für den Reisenden nicht spürbar sein. Nach erfolgter Endrechnung entspricht der Reisepreis zirka 100 €/Tag/Person. Das zahlen wir im Durchschnitt auch bei den von uns organisierten und gebuchten Individualreisen.

Schluss mit der Meckerei über die Gruppenreise. Viele Aspekte sind absolut positiv. Keine Sorgen und Zeitaufwand bei der Planung, fachlich qualifizierte Reiseleitungen mit Landesgeschichte und Antworten auf alle Fragen, Sensibilisierung für die Probleme der Bevölkerung, den politischen und wirtschaftlichen Aspekten das Landes und wie meine Frau formuliert: „Wenn du Menschen kennenlernen willst, unternehme eine Gruppenreise.“ Wir gewannen neue Eindrücke. Mit den Mitreisenden führten wir spannende Gespräche, tauschten Erfahrungen und Erlebnisse aus, sprachen über unsere Reiseeindrücke und Politik, sangen gemeinsam den Song „Bad Orb“ von den Rodgau Monotones und schlossen Freundschaften, auch über die Reise hinaus. Wann passiert das schon einmal? Allein dafür hat sich die Reise gelohnt.

Bitte nutzt die Kommentarspalte und berichtet über eigene Erfahrungen. Dankeschön.

 

Der Reiseveranstalter: RSD Reise Service Deutschland GmbH, Elsenheimerstr. 61, 80687 München – Buchung aufgrund einer Anzeige in der ADAC Zeitschrift

Reisetermin: 12.11.-26.11.2019

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Peter Schniz (Sonntag, 01 November 2020)

    Ich kann alle Überlegungen nachvollziehen und habe das Geschilderte ähnlich erlebt.
    Besonders herzlich stimme ich den letzten Sätzen zu.

  • #2

    Doris (Donnerstag, 09 Juni 2022 18:54)

    Ich habe diese Reise gerade hinter mir und habe auch das letzte Strandhotel erlebt. Niemand sollte mit überzogenen Erwartungen so eine Reise buchen. Ich fühle mich überhaupt nicht betrogen oder über den Tisch gezogen! Das Preis-/Leistungsverhältnis ist TOP! Bei der Rundreise kompetente Reiseleiter, sehr gute Hotels und zum Abschluss ein 5 Sterne Strandhotel, wie ich es noch nie erlebt habe - nämlich das Kaya Artemis wie bei Henry. Ich kann nur sagen atemberaubend schön und eigentlich 7 Sterne wert! Alles wie von RSD angeboten und genauso eingehalten. Bei Schmuck, Teppich und Leder musste niemand kaufen, es war teilweise interessant. Ich würde diese Reise noch einmal machen. Niemand kann für so wenig Geld ( Henry hat masslos übertrieben mit € 100,-/Tag/Pers.! Der zusätzliche Ausflug kostet auch für 2 Personen €119.00. Seine Reise für 2 Pers. Mit HP kostet nie und nimmer € 2.800,-. Trotzdem wird er für 2 Personen keine geführte 1-wöchige Rundreise mit anschließendem Luxushotel für 1 Woche mit Verpflegung buchen können! Den Hin- und Rückflug nicht zu vergessen. Die Reise und der Veranstalter RSD ist einfach TOP!