Das sagenumwobene Felsenmeer

Trekking im Pfälzerwald

Autor: Henri du Vinage

Deutschland

 

Es lebten einmal zwei Riesen in einem Tal im Odenwald. Durch dieses Tal schlingerte ein glasklarer Bach, der die Reiche der Giganten trennte. Sie hielten sich gerne auf den hohen Bergen auf. Dort glaubten sie sich in Sicherheit. Im Streit donnerten ihre Stimmen durch das Tal und Rehe, Füchse und selbst die Wölfe erschreckten so sehr, dass sich die Tiere der Wälder versteckten. Sie wussten, dass das Unheil drohte. Der vor Wut rot strahlende Hüne auf dem Felsberg grölte hinüber zum Galle spuckenden, grün angelaufenen Koloss auf dem Berg Hohenstein. Der Rote rief mit seiner Bassstimme: „Du Riesenräuber hast mein Land geklaut“, und schon erwiderte der Grüne: „Hier hast du es“, und feuerte einen Geröllblock auf den Berg seines Feindes. „Das bekommst du zurück.“ „Du auch.“ 

Die Felsenschlacht dauerte einen Tag und eine Nacht. Der Himmel verdunkelte sich und Nebel stieg auf. Die beiden ließen sich nicht aufhalten. Die Felsbrocken flogen hin und her. Die Steine des Grünen wurden kleiner und kleiner, bis nur noch Kieselsteine übrig waren. Der Rote besaß ein unerschöpfliches Reservoir an monströsen Brocken. Es waren so viele, dass am Ende der Schlacht der grüne Riese erschlagen unter einem Meer von Felsen begraben lag. Sein Körper zuckte noch lange und sein Grunzen und das Rollen der Felsblöcke ist bis heute zu hören.

Bei Lautertal-Reichenbach im Odenwald, dreissig Kilometer von Darmstadt, erstreckt sich das Naherholungsgebiet Felsenmeer. Eines Sonntags im Dezember fahren wir durch kalte Nebelschwaden. Im Wald gleiten wir auf den beschneiten Landstraßen langsam dahin, der Nebel zieht hoch. Fünfzig bis einhundert Meter Sicht lassen uns nur schleichen. Gegen elf Uhr erreichen wir den Besucherparkplatz. Überall Nebelschleier, doch die Sonne strengt sich an, die Strahlen auf die Erde zu bringen. Aufgrund der Pandemie ist das Besucherzentrum geschlossen und die geologischen Infos googeln wir eben. Vor zirka 400 Millionen Jahren befand sich auf dieser Höhe der Äquator. Durch Erdverschiebungen, Wettereinflüsse und vor etwa 12.000 Jahren, durch die Eiszeit in einer Zone des Permafrostes, entstanden in den wärmeren Jahreszeiten Auswaschungen und Verwitterungen des Gesteins. Bizarre Formen, die zum Spielen und zu Kletterkunststücken auffordern, reißen uns in den Bann. Der Nebel trägt zu einem horriblen Erscheinungsbild bei und wir klettern immer in Sichtweite bleibend von Felsbrocken zu Felsbrocken. Später entdecken wir von den Römern hinterlassene Werkplätze. Fünfzehn Stellen sind zu erforschen. Archäologen schätzen, dass die Aktivitäten der Römer auf das zweite bis vierte Jahrhundert zurückzuführen sind. Riesensäulen, bearbeitete Steine und Felsen versperren die Wege.


Sagen aus dem Felsenmeer

Inzwischen blinzelt die Sonne durch die Nebelbänke und die Strahlen in der Reflexion mit Wald, Blättern, Ästen und dem feuchten, glänzenden Gestein sind ein Schauspiel und Kunstwerk, wie es nur die Natur selbst erschafft.

Wir ersteigen die fünfhundert Meter des Naturschutzgebiets, treffen Wanderer, erkundigen uns nach Wegen, die Gastronomie ist coronabedingt geschlossen und wir suchen uns einen Platz für ein Picknick. Belegte Vollkornbrötchen mit Schinken, Käse und Tomaten stillen unseren  Appetit. Nur der Glühwein fehlt, aber niemand erklärte sich bereit, Thermoskanne und Becher zu tragen. Wir Begnügen uns mit Wasser aus der leichten Edelstahlflasche.

Rostige Ritter

Die Sonne zieht sich langsam hinter den Wäldern und Bergen zurück und der Nebel steigt wieder hoch. Unsere Stiefel versinken im Matsch der Wege, einige Pfade sind aus Sicherheitsgründen und aufgrund von Waldarbeiten gesperrt. Wir irren umher, fragen die wenigen Leute, die entgegenkommen nach der Wegrichtung. Der fette Nebel hat uns eingeschlossen. Wir suchen den Weg zurück ins Tal und wie von Geisterhand gesteuert, taucht das Felsenmeer vor uns auf. Rechts, neben den Felsbrocken, führt der Weg ins Tal. Angeblich sprudelt hier die berüchtigte Siegfriedquelle, Tatort der Ermordung Siegfrieds nach dem Heldenepos der Nibelungensage. Hier stieß Hagen ihm mit einem Speer zwischen die Schulterblätter. Der Nebelschleier verdunkelt den Pfad bedrohlich und wir suchen die kürzeste Route zum Parkplatz, in die Sicherheit unseres Autos. Die Quelle sahen wir nicht und Hagens Geist schlief scheinbar fest. Ob er im Auto sitzt?

Römische Werkbank - Felsenmeer
Römersäule

Tipp 1: In den Sommermonaten und der Ferienzeit überfüllt.

Tipp 2: Felsenmeer - Informationszentrum

 

 

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