Oktober 2020
Es war einmal eine Fabrik, in der herrschte ein böser Drehkreisel. Seine Mitarbeiter mussten sich an ihm festhalten und gehorchen. Die Notebooks verfügten über einen besonderen Platz. Sie saßen bequem auf dem Kreisel und gaben die Befehle weiter an die Kugelschreiber, die sich mit ihren Haken sicher in die blechernen Schlitze einklinkten.
Es war einmal eine Fabrik, in der herrschte ein böser Drehkreisel. Seine Mitarbeiter mussten sich an ihm festhalten und gehorchen. Die Notebooks verfügten über einen besonderen Platz. Sie saßen bequem auf dem Kreisel und gaben die Befehle weiter an die Kugelschreiber, die sich mit ihren Haken sicher in die blechernen Schlitze einklinkten.
Unter ihnen baumelten die Hämmer, welche die Aufträge ausführten und locker an den Blechvorsprüngen hingen. War der Kreisel zufrieden, lag er ruhig herum, schlief oder drehte sich manchmal sogar sanft und in bester Laune im Kreise. Dann waren alle glücklich. Aber wehe, wenn seine Laune schlecht war, dann musste sich jeder in achtnehmen.
Eines Tages geschah es. Die Hämmer hatten die Nägel nicht tief genug und krumm eingeschlagen, die Kugelschreiber verrechneten sich und die Notebooks gaben die Befehle falsch weiter. Da brummte er laut, kreiste um seine eigene Achse herum, brummte und brummte, bis sich das Brummen zu einem Dröhnen entwickelte, er donnerte und drehte sich schneller und immer schneller. Die ersten Hämmer konnten sich nicht mehr festhalten und wurden im weiten Bogen durch die Luft geschleudert, bis sie weit entfernt auf den Boden knallten. Dort blieben sie regungslos liegen. Es brummte, donnerte und wirbelte so wild, dass selbst die Kugelschreiber den Halt verloren und ihre Klammern aus den Schlitzen rutschten, Tinte verspritzten und beim Aufprall ihr Plastikhaus zerbrach. Nur die Notebooks saßen fest im Sattel und klappten den Bildschirm ein.
Eines Tages sprach der Kreisel mit seinen Laptops: „Macht den Hämmern Dampf. Es dauert viel zu lange, bis die Nägel eingeschlagen sind.“ Der Kreisel verschonte auch die Kugelschreiber nicht und schrie: „Auch diese Tintenkleckser brauchen eine Ewigkeit, um die Rechnungen zu schreiben!“
„Wir kümmern uns darum“, riefen die Notebooks. „Schnell, schnell“, rief der Kreisel und brummte so tief, dass die Erde bebte und seine Blechhaut wackelte und vibrierte. Die Notebooks gaben die Befehle weiter: „Ihr müsst schneller als der mächtigste Sturm arbeiten, sonst fegt uns das nächste Donnerwetter weg.“
Eine halbe Woche später. „Das ist ein Sauhaufen. Die Nägel sind schief hineingeschlagen und die Berechnungen sind voller Fehler!“ Der Kreisel zuckte aufgeregt und drehte sich wie verrückt. Die Winde bliesen auf die Hämmer, so dass die hölzernen Stile auf das Blech gongten. Ein dumpfer, hohler Klang ertönte, der nichts Gutes erwarten ließ. Die Schreiber zogen ihre Minen ein, um sie vor dem Austrocknen zu bewahren. Die Böen brausten vorbei und rüttelten so kräftig, bis das goldfarbene Laptop herabstürzte. Elektroschrott. Gleich darauf schüttelte es drei Hämmer gleichzeitig vom Kreisel, zwei Stifte folgten umgehend. Als der Kreisel bemerkte, was passiert war, hielt er an und schrie: „Seht ihr. Das passiert den Schlechten. Strengt euch an. Das ist eine Schande!“ Nach seinen Wutattacken war er sehr müde und schlief ein.
Die Verwundeten wurden aufgesammelt, repariert und die gedemütigten Notebooks, Kugelschreiber und Hämmer schmiedeten einen Plan. Sie klemmten sich fest in die Blechschlitze, einige klebten sich mit Sekundenkleber an und hakten sich ein. Entweder riss die Fliehkraft alle herunter oder keinen Einzigen.
Der Kreisel wachte nach langem tiefem Schlaf auf und brüllte los: „Sauhaufen, verdammter Sauhaufen, welche Unordnung“, und schon wirbelte er im Kreis herum, als wolle er alle vernichten. Das Unwetter fegte einem Hurrikan gleich am Kreisel entlang, aber diesmal fiel niemand herunter. Der Kreisel erhöhte das Tempo, das Brummen wurde zu einem Ächzen, das Blech des Kreisels verbog sich, das Brummen ließ nach und wich einem ohrenbetäubenden Krächzen und Knarren. Einige kleine Umdrehungen in der Schieflage, mit einem Teil des Blechs schon den Boden berührend, kreiselte er langsam aus, bis er bewegungslos da lag.
Notebooks, Kugelschreiber und Hämmer lösten ihre Befestigungen und Klebestellen und die Notebooks streamten die neuesten Hits. Jedermann tanzte um den leblosen Kreisel. Sie feierten ihre Freiheit.
Erhard Bauswein (Donnerstag, 12 November 2020 11:47)
Hallo, lieber Henri, das ist ja eine wunderschöne Symbolik: der Kreisel als "Turbo"-Kapitalismus! Und die Arbeiter "kleben" an ihm oder sind "verhakt", bis es zu viel wird und sie "rausfliegen". Dann kommt der Kreisel ins Taumeln und liegt dann lahm am Boden. Aber ob die Arbeiter, wenn die Hits verstummt sind, sich glücklich fühlen?
Henri (Dienstag, 03 November 2020 18:58)
Hallo Werner,
danke für dein Feedback. Das Märchen habe ich geschrieben, wie alle Kurzgeschichten, Reisebriefe etc. auf dieser Seite. Ich muss zugeben, dass sich durchaus eigene Erfahrungen im Text niederschlagen und es freut mich sehr, wenn die Geschichte zur Reflexion anregt.
Werner Gollbach (Dienstag, 03 November 2020 18:06)
Hallo lieber Henri, ein interessantes modernes Märchen. Stammt es aus deiner Feder? Auch bei einigen klassischen Märchen sind die Pointen ähnlich, z.B. bei dem Märchen "der Fischer und seine Frau". Auch dort strebt die Frau des Fischers nach "immer mehr", bis sie am Ende wieder alles verliert. Eine Geschichte zum Nachdenken, die leider auch im heutigen Wirtschaftsleben ihre parallelen findet.
Liebe Grüße Werner