Brasilien: Giftwolken der Agroindustrie bringen Indigenen Tod und Leid

Hilfeschrei des indigenen Aktivisten und Anführers Ládio Verón am 3. Mai 2017 im Weltkulturen Museum Frankfurt/Main.

Die indigenen Völker Brasiliens sind weiter vom Genozid bedroht. Kriminelle Mörderbanden töten, foltern und vergewaltigen. Die Regierungen dienen seit Jahrzehnten der Agrolobby.

Frankfurt, 3. Mai 2017. Im Weltkulturenmuseum finden sich über 100 engagierte Bürger ein, um mit dem brasilianischen Aktivisten und Häuptling des Volkes Guarani-Kaiowá, Ládio Verón die Situation seines Volkes zu diskutieren. Es ist ein Hilfeschrei.

 

Ládio erklärt: 1953 lebten etwa 3 Millionen Indigene im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, an der Grenze zu Paraguay, in 600 Dörfern auf einer Fläche von 300 qkm. Die Kaiowá waren das größte Volk in Brasilien. Soldatentruppen der Machthaber, Großgrundbesitzer und die heutige Agroindustrie sorgten in über 300 Massakern für die Dezimierung auf nur noch 30.000 Menschen, die derzeit in prekären Verhältnissen am Straßenrand in Hütten aus Plastikplanen oder kleinen Dörfern versuchen zu überleben. Die zum Schutz der indigenen geschaffene Behörde SPI beteiligte sich aktiv am Genozid. Die Völker wurden auf perverseste Art vernichtet. Mit Pockeninjektionen und arsenvergifteten Lebensmitteln war die SPI für besondere Grausamkeiten bekannt. 1967 schlossen die Verantwortlichen die Einrichtung und gründeten die Nachfolgeorganisation FUNAI, die ihren Auftrag verantwortungsvoll ausführen sollte. Die Regierung des Putschpräsidenten Temer hat inzwischen 340 Mitarbeiter inklusive des FUNAI-Präsidenten entlassen. Eine schon immer schwache, machtlose Institution wird wahrscheinlich endgültig zu einer Alibi-Behörde.

 

Der Anführer der Kaiowá berichtet von den Agrochemikalien, welche heute mit Flugzeugen auf die riesigen Anbauflächen der Monokulturen, ohne Rücksicht auf die armen und rechtlosen Kinder und schwangeren Frauen gesprüht werden. »Für die Agroindustrie sind wir wie Schädlinge«. Er erzählt von Kindern für die es keine Hilfe mehr gab.

Immer wieder werden Dörfer zerstört. Von 2003-2014 sind 385 Anführer von der Agroindustrie und ihren Killerkomandos getötet worden, erzählt er, und führt mit ruhigen, fast emotionslos wirkenden Augen weiter aus: »15 Führer sind in Krankenhäusern durch Giftspritzen gemeuchelt worden«. Die Täter, wie so oft in Brasilien, gehen straffrei aus.

 Er benennt Monsanto, Cosan, Cargill und Bunge als Mitverursacher durch ihre Produkte, zum Beispiel genetisch manipuliertes Saatgut. Einige Beispiele der Massenproduktion zählt er auf: Soja brauchte früher 5 Monate zum Reifen - heute 2 Monate, ein Schwein war schlachtreif innerhalb von 8-12 Monaten - heute 40 Tage, in Hühnereier wird ein Liquid injiziert- in 24 Stunden schlüpfen die Küken. 

 

Zweieinhalb Monaten wird der Kämpfer für sein Volk in Europa unterwegs sein. Ihm geht es darum, die bisher von allen Präsidenten versprochene Territorien und vom Präsidenten Figueiredo 1989 definierten Schutzgebiete zurückzuerhalten. Er wünscht sich, dass die Europäer den Genozid stoppen, in dem sie auf die Katastrophe aufmerksam machen, dass sich Politiker stark machen und in Brasilien für die Völker einsetzen, dass der Agroindustrie auf die Finger geguckt wird und dass das Konsumverhalten hinterfragt wird.  Ládio Verón ruft auf, Untersützer-Netzwerke zu gründen, bevor es zu spät ist.

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Kommentare: 2
  • #1

    Eustaquio Valencise (Montag, 08 Mai 2017 07:16)

    Hi Henri, leider habe ich keine Homepage, aber möchte dazu beitragen, zunächst durch Verschicken dieser Page an meine Freunde und Bekannten. Eine erste Idee/Frage: Wie wäre es mit der Übersetzung dieser Page von dir ins Englisch, Portugiesisch...., damit wir auch in anderen Ländern und in Brasilien vor Ort weitere Unterstützung bekämen?
    Viele Grüße
    Eustaquio Valencise

  • #2

    Christchen (Mittwoch, 10 Mai 2017 17:16)

    Hallo Henri,danke Feuer den Bericht ueber die indigenen Voelker in Brasilien,man kann es kaum glauben was da heute noch passiert.Nurdie Politik kann und muss da was aendern.Herzlichen Guss

Textausschnitt aus meinem Buch

Die Folgen von Fortschritt und Wachstum für die indigene Bevölkerung

Die Ausrottung der brasilianischen »Indígenas« begann mit der Eroberung Brasiliens um 1500. Schätzungen zu Folge gehen Wissenschaftler davon aus, dass es zu dieser Zeit sechs bis zehn Millionen Indios gegeben hat. Nach der Volkszählung von 2010 leben in Brasilien über achthunderttausend »Indígenas« aus dreihundertfünf verschiedenen Ethnien mit zweihundertvierundsiebzig indigenen Sprachen. Etwa fünfhunderttausend leben in ländlichen Regionen und dreihunderttausend in urbanen Gebieten. In der brasilianischen Amazonas-Region sind weltweit die meisten unkontaktierten Völker beheimatet. Die »FUNAI« geht von knapp achtzig Gruppen aus. Alle Gruppen sind extrem anfällig gegen Krankheiten. Grippe, Erkältungen und andere Krankheiten bedeuten den Tod für diese Menschen, da sie über keine Abwehrkräfte verfügen.

Bis in die 1970er Jahren wurde die Vernichtung der «Indígenas« zwar bedauert, aber als unausweichliche Folge für Wachstum und sogenannten Fortschritt hingenommen.

Bereits 1910 wurde die erste Organisation zum Schutz der Indios gegründet, der SPI, »Serviço de Proteção ao Índio«. Korruptionsvorwürfe, Gräueltaten an den »Indígenas« und bewusste Ausrottung von Indianerstämmen aus materiellen Interessen wurden durch den 1967 vom Innenministerium in Auftrag gegebenen Figueiredo-Bericht enthüllt. Der Bericht folgerte, dass achtzig Völker ausgelöscht wurden. Die enthüllten Grausamkeiten übertrafen alle Vermutungen. Pistoleiros, gedungene Killer, gaben den Indios erst Schnaps, um dann die Betrunkenen töten zu können. Zwei Stämme der »Pataxós« wurden von den Helfern der politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen durch Pockeninjektionen ermordet. Das Volk der »Beiços-de-Pau« wurde mit arsenverseuchten Lebensmitteln getötet. Indios wurden versklavt, Frauen vergewaltigt.

1967 entschloss sich die Regierung zum Auflösen der alten, korrupten und verbrecherischen Organisation SPI und gründete die FUNAI, »Fundação Nacional do Índio«, Nationale Stiftung der Indigenen. Die FUNAI untersteht der Regierung. Auf der Internetseite stellt sie sich als ausführendes und koordinierendes Organ der offiziellen Politik für die indigenen Völker dar. Ihre institutionelle Mission ist der Schutz und die Förderung der indigenen Rechte[1]. Die brasilianische Regierung und somit auch die FUNAI werden von Indigenen und von NGOs, Nicht-Regierungs-Organisationen, sehr kritisch gesehen. Im Oktober 2015 wurde ein Verfassungsänderungsvorschlag, PEC 215, von den Abgeordneten durch Wahl angenommen. Bisher zwar nur ein Vorschlag, aber sollte er Gesetz werden, was durchaus nicht unwahrscheinlich ist, würden auf unbeschreibliche Weise Rechte der Indigenen eingeschränkt werden. Vereinfachte Vorgehensweisen bei den Abgrenzungen der indigenen Territorien und Maßnahmen im Interesse der Nation, wie beispielsweise die Umsetzung von Infrastrukturprojekten, ermöglichen den Zugriff auf Ländereien der indigenen Völker [2]. Die starke Agroindustrie versucht einmal mehr, ihre Interessen durchzusetzen.

Weiterhin roden Unternehmen täglich riesige Flächen des Urwalds, um Platz für den Anbau von Soja, Zuckerrohr und Weideflächen für die Rinder zu schaffen. Die dort siedelnden Ethnien werden mit Gewalt vertrieben oder ermordet. In diesem Jahr gelang es der brasilianischen Umweltbehörde, den führenden Kopf einer Abholzerbande festzunehmen. Ezequiel Antonio Castanha war für das jährliche Abholzen von Arealen einer Größe von fünfzehntausend Fußballfeldern schuldtragend. Der Staat ist oft machtlos, schaut weg und die Verantwortlichen kassieren mit. Ein hoffnungsloser Kreislauf.



[1]   www.funai.gov.br

[2]   www.cimi.org.br