Mit allen Sinnen in der Provence

Olivenbäume in den Gärten der Provence

Autor: Henri du Vinage

September 2017

Frankreich

 

Baguette unter dem Arm, Käse und Rotwein zum Genuss bereit . Das ist das Bild des typischen Franzosen in Deutschland. Ob da etwa jemand neidisch ist?

 

 

Als ich mit Bekannten meinen Reiseplan »Tour de France« anspreche, höre ich von Vorurteilen geprägte Meinungen. »Die Franzosen mögen die Deutschen nicht«. »Die sprechen keine Fremdsprachen«. »Sind unfreundlich zu Ausländern«. »Essen Baguette, Käse, Gänseleberpastete und trinken Rotwein«. »Streiken ständig und lieben die Atomkraft«. Ich mochte es nicht mehr hören, fuhr los und erinnerte mich mit Freude an meine frankophile Lebensphase in den 1970 iger Jahren. Damals lief ich mit einer Baskenmütze herum, hörte französische Chansons von George Brassens und dem Franko-Griechen George Moustaki. Seinen Song »La Philosophie« mit dem Refrain «nous avons toute la vie pour nous amuser, nous avons toute la mort pour nous reposer«, »wir haben das ganze Leben, um uns zu vergnügen, wir haben den ganzen Tod, um uns auszuruhen«, entwickelte sich zu einer Art Glaubenssatz für mich. 1974 arbeitete ich fünf Monate in Paris. Die Zeit danach reiste ich mehrmals im Jahr nach Frankreich, bis ich dann Brasilien entdeckte. Seit über 30 Jahren war ich nur noch sporadisch, für einige Tage, in La France. ‘Mal in Paris oder Straßburg. Ich bin gespannt, was mich erwartet.

Die ersten Tage ziehe ich mich nach Vence zurück. Der bezaubernde Bergort wurde auf einem Felsen erbaut, eine schützende Mauer umgibt die Altstadt. Der betörende Blick auf die gebirgige Landschaft regt zu farbprächtigen Fantasien an. So erging es den Künstlern, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts begeistert Vence eroberten und die grandiosen Farbenspiele auf Leinwand festhielten. Auf den Spuren von Marc Chagall, Henri Matisse und Jean Dubuffet durchstreife ich die Gassen und fühle mich in vergangene Zeiten zurückversetzt. Dubuffet der bedeutendste Vertreter der Art Brut kam erst 1959 nach Vence. In der Ferne höre ich Jazzmusik und suche mir einen Weg dorthin. Drei Musiker spielen einen wunderbar dynamischen Gypsy-Jazz. Obwohl es kalt und windig ist, setze ich mich dazu und lausche dem Sound. Swingenden Schrittes fahnde ich nach einem gemütlichen Restaurant. Die Speisekarte zu verstehen entpuppt sich als schwierige Aufgabe. Meine miesen Sprachkenntnisse reichen nicht aus. Ich habe Glück und finde einen Laden, in dem die Eigentümerin, Domi genannt, deutsch parliert. La Table de Domi erweist sich als ein ausgesprochener Glückstreffer. Dominique empfiehlt mir die Magret de Canard, Entenbrust in Rotweinsoße, dazu einen einfachen Rotwein, Bertoulet Rouge und als Dessert einen Crème Brûlée. Ein Gedicht. Mit 30 € bin ich dabei. Das ist das Geld wert. Auf meiner Tour de France muss ich immer wieder feststellen, dass die Speisen zirka 25% mehr kosten als in Deutschland. Dafür ist es selbst in simplen Restaurants eine Klasse für sich. Die Augen kommen auch nicht zu kurz. Die Teller sind Appetit und Fantasie anregend hergerichtet. Domi erzählt mir, dass sie mit ihrem Mann Patrick, vor einigen Jahren den Laden gemietet hat und alles selbst gestaltet, gebaut und entworfen hat. Ein Kellerraum wurde freigelegt und daraus entwickelte sich ein traumhafter Gewölbekeller. Ich war noch ein zweites Mal bei Domi und war ebenso begeistert. Sie räumt mit dem Vorurteil auf, dass die Franzosen keine Fremdsprachen können und unfreundlich zu Ausländern sind. Fast überall wird Englisch gesprochen. Auf dem Lande wird es etwas schwieriger. Vieler orten habe ich freundliche, weltoffenen und kommunikationsfreudige Menschen getroffen.

Am nächsten Morgen wecken mich die sanften Sonnenstrahlen des Frühherbstes. Wie in Trance begebe ich mich auf die Terrasse des ehrwürdigen in die Jahre gekommenen Hotels und schaue in die Farbenflut der bergigen Landschaft. Es riecht nach Morgentau, Hibiskus und aus der Küche nach Café und frischen Buttercroissants. Ich verweile noch in der Kühle und verstehe die Künstler, die auf der Suche nach Offenbarung sich hier niederließen.

Die Namen der ehemaligen Fischerdörfer der Küste entlang, klingen in meinen Ohren nach Jet Set, Brigitte Bardot, Gunter Sachs & Co., nach Sex und Dekadenz, Drugs und Rock ‘n Roll, Filmfestspielen und entspanntem Leben am Strand, nach Nightlife und provenzalischen Speis‘ und Trank, nach Kunst und Lebenskunst, nach spielen, gewinnen oder verlieren, nach der unendlichen Weite des Mittelmeers und seit kurzem nach Terror. Die Häfen von Nizza, Antibes und Cannes wirken wie das Stelldichein der Upperclass. Flaggen der Welt zieren die überdimensionalen Yachten. Viele Eigner haben die Schiffe in den Steueroasen dieser Welt zugelassen und niemand weiß, ob sie überhaupt an Bord sind. Es wird geputzt, gewienert, Tische werden gedeckt, Essen wird aufgefahren oder sich unterhalten. Die Fischerdörfer haben sich zu Großstädten gemausert. Nizza, 350.000 Einwohner, Cannes und Antibes sind mit 75.000 Bewohnern überschaubar geblieben. Charme strahlt die Altstadt von Antibes aus. Auf dem überdachten Markt tummeln sich die Menschen, verköstigen Austern, probieren die vielen Käsesorten, am Holzkohleofen bildet sich eine riesige Menschenschlange und wartet geduldig auf die nach Thymian und Oregano duftende Socca (ital. Farinata: Rezept). Die Stimmung ist entspannt, alle quatschen miteinander und ich denke mir, dass es sich so leben lässt.

St. Tropez, berühmt geworden durch B.B., steht noch auf meiner Ausflugsliste. Muss ich noch sehen, denke ich mir und fahre hin. St. Maxime lasse ich hinter mir. Der Autoverkehr wird immer intensiver und kurz nach Port-Grimaud ist Schritttempo angesagt. Stop and Go und das in beide Richtungen. Nach einer Stunde entscheide ich mich umzudrehen und den Rückweg anzutreten. Schlauer Entschluss! Im nachherein lese ich im Marco Polo Reiseführer, dass sich im Sommer täglich 80.000 Touristen durch Saint Tropez drängeln.

Der Rückweg führt mich nach Saint-Paul-De-Vence, nur einige Kilometer von Vence entfernt, und Eldorado für Kunstliebhaber. Die Stadtmauer umgibt die Altstadt, in welcher sich Kunstgalerie an Kunstgalerie reihen, die Werke einheimischer und zugewanderter Künstler zeigen. Viele haben ihre Ateliers für das interessierte Publikum geöffnet und wer über das entsprechende Kleingeld verfügt, hat die Chance exklusive Kunst zu erstehen. Für diejenigen die nur schauen und genießen wollen, bietet sich das zauberhafte Privatmuseum Fondation Maeght, gegründet von den Sammlern Aimé und Marguerite Maeght, an. Bemerkenswerte Kunst: Chagall, Miró, Giacometti, Braque und wechselnde, anspruchsvolle Ausstellungen. Von Dezember 2017 bis März 2018 startet eine Wechselausstellung mit dem Titel »Ist das, wie die Menschen leben«? Über 100 Werke werden zu sehen sein.

 

 

 

Das Hinterland der Küste hat es in sich. Es gibt noch sehr viel zu entdecken. Die Franzosen habe ich besser kennengelernt und die Vorurteile sind eben Vorurteile. Sie sprechen Fremdsprachen und sind freundlich und hilfsbereit. Sie essen Baguette und Käse, trinken nicht nur Rotwein und essen Pasteten aller erdenklichen Art. Ich glaube, dass ich meine Baskenmütze wieder aufsetzen muss, aber bestimmt aus völlig unpolitischen Gründen.

Tipp 1

Vence: Chapelle du Rosaire, von Henri Matisse entworfen.

Tipp 2

Restaurants in Vence: La Table de Dormi und Chez‘elles (armenische Küche).

Tipp 3

Gorges du Verdon (Verdon-Schlucht): 700-800 Meter tiefe Schlucht, für anspruchsvolle Wanderer und Naturliebhaber

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Christchen (Sonntag, 11 Februar 2018 16:47)

    Hallo Henri ,habe Deinen Frankreichbericht gelesen,manmöchte sofort hinreisen.